Die Lady, ein Abgrund
Er scheint gar nicht zu wissen, was Macht ist. Wollte er so ein richtig bösartiger Killer sein, müsste er das Monster in sich wohl erst noch entdecken. Dass Macbeth eine Lady braucht, die ihn zum Jagen trägt, ist auch in Darmstadt der Ausgangspunkt einer Inszenierung, die ganz nebenbei den Start einer neuen Führungstroika markiert.
Alexander Kohlmann, Sabine Mäder und Mizgîn Bilmen sind nicht nur für ihre erste gemeinsame Spielzeit, sondern als Dramaturg, Bühnenbildnerin und federführende Regisseurin auch für eine Eröffnungsinszenierung ver -antwortlich, die aufgrund von Umbauarbeiten im Kleinen Haus auf die große Opernbühne verlegt wurde. Das Publikum sitzt auf der Hinterbühne und blickt auf eine weitläufig leere Fläche. Im Hintergrund ist immer auch der weit geschwungene Zuschauerraum des Opernhauses präsent.
Bilmens Inszenierung basiert auf der Übersetzung von Jürgen Gosch und Angela Schanelec, rasant gekürzt und mit improvisierten Einschüben wie im Fall von Shakespeares raunenden Hexen, aus denen Martina Lebert (Kostüm) beigegraue Spießer-Rentner:innen mit Handtäschchen und Hütchen gemacht hat. Gabriele Drechsel, Wiebke Frost und Jörg Zirnstein spielen das, als entdeckten nervöse Unruheständler während einer Kaffeefahrt den Wut- und Reichsbürger in sich. Bilmen bedient sich gerne am Trash-Reservoir der Moderne, so ist König Duncan (Nico Ehrenteit) ein Zombie mit Fallsucht und verfremdeter Gruftstimme. Niklas Herzbergs Macbeth dagegen erscheint als überfordert tumber Kampfkoloss, der sich selbst nicht versteht. Bühne frei für Irina Wrona als machtbesessene Lady M., die im Hintergrund die politischen Strippen zieht, vorne an der Rampe aber so tut, als sei sie lediglich fürs Unterhaltungs -programm zuständig. Erst gegen Ende wird sie mit einem imaginierten Baby im Arm entdecken, dass auch eine derart manipulative Person weiche Züge haben kann. Wie abgründig das blutige Machtspiel um die schottische Krone ist, zeigt Mizgîn Bilmen im Zusammenspiel mit Sabine Mäder. Von Beginn an schwebt eine riesige Platte über den Köpfen der Schauspieler:innen und spiegelt, je nachdem, wie sie sich bewegt, das Geschehen da unten. Und irgendwann bewegen sich dann auch noch die Hubböden der Bühne derart dereguliert, dass man den Eindruck hat, tektonische Platten in der Nordsee sorgten dafür, dass sich Abgründe in der schottischen Hochebene öffnen.
Schon da geht es der Inszenierung nicht nur um Bildmächtigkeit, sondern um ein Bild dafür, wie trü -gerisch unsere Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung ist. Besonders deutlich wird das am Ende, wenn der Sohn des ermordeten Königs zusammen mit Macduff den Sturz von Macbeth bespricht und zu Bedenken gibt, Macbeth sei zwar ein übler Tyrann, im Vergleich zu ihm aber ein blutiger Anfänger.
Schließlich, so Malcolm über Malcolm, kenne er sich als maßlosen Frauenverschlinger und skrupellosen Raffzahn. Im Gegensatz zu anderen Inszenierungen geht Bilmen nicht über diese Szene hinweg, sondern inszeniert das Outing des Prinzen als großes Bild der Sinnestäuschung. Sebastian Schulze (Malcolm) und Florian Donath (Macduff ) spielen ganz hinten im Rang des Opernhauses in Richtung einer Kamera, während sie vorne auf der Bühne im Close-up auf einer großen Screen zu sehen sind. Eigentlich ist klar, dass das da hinten real ist. Doch je länger man hinsieht, desto mehr glaubt man, das kleine Bild im Rang sei ein Video auf einem Monitor und die Schauspieler vorne auf der großen Leinwand so real wie du und ich.
www.staatstheater-darmstadt.de
Theater heute Oktober 2024
Rubrik: Chronik, Seite 58
von Jürgen Berger
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