Desperate Housewives und neueste Nachrichten vom Spätkapitalismus

Sibylle Berg legt nach: «Und dann kam Mirna» am Berliner Gorki Theater (der vollständige Stückabdruck liegt diesem Heft bei) und «How to sell a Murder House» in Zürich. In Leipzig trifft Bernhard Studlar «Die Ermüdeten», und in Wien herrscht «Der Marienthaler Dachs»

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Mangelnde Selbstreflexion wird Gem­ma, Lina, Minna und Sibylle Bergs Ich-Erzählerin niemand vorwerfen können. Die streetwise Girlsgang ist Anfang 20, diskursfit durchtrainiert, ausgesprochen formulierungsfreudig und denkt über sich und ihre aktuellen Liebes­desaster, Figurprobleme, Darstellungs- und Selbstdarstellungsvolten sowie alle weiteren vollgegenderten Weltprobleme bis mindestens in der dritten Ableitung mit abschließender Meinungspirouette nach.

Zur Entspannung verprügeln sie kleine Jungs und verstrahlen dabei vorzugsweise den lebensweisen Sarkasmus von mindestens 80-jährigen apokalypseverliebten Heiner-Müller-Fans nach drei Helene-Hegemann-Romanen. Den Lebensunterhalt finan­ziert ein schwunghafter Online-Handel mit gefälschten Viagra-Tabletten aus Rattengift. Das trendgeistige Quartett aus «Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen» hat 2013 in Sebas­tian Nüblings bewegungsrhythmischer Uraufführungsinszenierung das Berliner Gorki Theater von Shermin Langhoff und Jens Hillje gerockt und war das Stück des Jahres 2014. Vier hochindividuelle Schauspielerinnen in identischen Schlabberpullis hatten sich Sibylle Bergs mäandernden Erzählstrom mal chorisch, mal solistisch ...

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Theater heute November 2015
Rubrik: Aufführungen, Seite 24
von Franz Wille

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