Das Wohlstandsarrangement
Ich sehe: Geldautomaten (…), Hochgeschwindigkeitszüge, FKK-Strände, Kinder mit Handys, Reality-Shows auf MTV (…), Kaffee ohne Koffein / Bier ohne Alkohol / Süßes ohne Zucker / Fleisch ohne Cholesterin». So stellt sich Europa von außen dar. Aus Sicht der somalischen Olympionikin Samia, die in Carla Guimaraes’ tragikomischer Flüchtlingsgeschichte «Die unglaubliche Geschichte des Mädchens, das Letzte wurde» (aus Spanien) von ihrer afrikanischen Heimat aus die Festung Europa erklimmen will.
Ein Kontinent als Ansammlung von Konsumgütern, körperkultischen Selbstpraktiken (FKK) und Diätetik (Kaffee ohne Koffein). Europa als Wohlstandsarrangement.
Aus der Binnensicht erscheint diese europäische Wellness-Oase natürlich durch und durch gefährdet. Im griechischen Festivalbeitrag zum Beispiel. Da tanzen die Akteure der Athener Blitz Theatre Group in «Late Night» inmitten von Schutt und Trümmern in einem abgewetzten Ballsaal. Ein dritter Weltkrieg hat die Staaten verwüstet, und die drei hier versammelten Tanzpaare erinnern sich reihum in unterkühlten Erzählsplittern der Kriegs- und Vorkriegszeiten. «Ich denke an all die Spieler der Premier League. / Ich frage mich: / Ist es möglich, dass sie ...
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Theater heute August-September 2014
Rubrik: Festivals/Aufführungen, Seite 22
von Christian Rakow
Gott ist nicht tot. Nur einfach nicht da. Stattdessen ragt ein Kran von einer mehrstöckigen Plattform krakenhaft ins Nirgendwo. Das Studierzimmer: eine Schmuddelecke mit Waschbecken, und auch sonst hat sich einiges verändert im meistzitierten deutschen Drama, und das mit Recht, versteht sich, «denn alles, was entsteht/Ist wert, dass es zugrunde geht …» etc. pp....
Das «gegenständliche Leben für fünf Schauspieler», so der Untertitel von Dmytro Ternovyis «Hohe Auflösung», endet für Jelena kurz vor Stückschluss leider ebenfalls gegenständlich: Ein Pflasterstein trifft sie tödlich am Kopf. Der Brocken kommt zwar nicht zufällig durchs Fenster geflogen, aber er hätte genauso gut vorbeifliegen können. Jelena hat einfach kein Glück...
Ist die in ihr Erdloch hineinwachsende, zunehmend bewegungsloser werdende Winnie aus Becketts «Glückliche Tage» nicht eine durchweg überlebte Figur? Und ihre stillstehende Welt, in der sie unerschütterlich optimistisch mit Zahnpastatube, Nagelfeile und Regenschirm gegen Nichtstun und Eintönigkeit kämpft, in Anbetracht von Rastlosigkeit und Reizüberflutung im...
