Amsel und Schnecke

nach Carlo Collodi «Pinocchio» im Schauspielhaus Zürich

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Vielleicht wäre der Sache gedient, wenn die Menschen ganz einfach Bäume würden? In diese Richtung jedenfalls geht der Wunsch von Pinoc -chio, wenn die blaue Fee ihm einen freihält, und auch Meister Gepetto scheint sich ganz wohl -zufühlen als Pinie, in die er sich nach seinem menschlichen Ableben (in Abweichung zum Vorbild von Carlo Collodi) verwandelt hat. «Sieht ganz danach aus, dass der Schüler den Meister belehrt», kommentiert das die Schnecke. «Manchmal steht in Märchen auch einfach nur Unsinn», stellt die Amsel klar.

 

Amsel und Schnecke führen durch die Geschichte, als Erzählerinnen und Repräsentantinnen kontrastierender Weltanschauungen: die Amsel, die alles überfliegen möchte und vor Ungeduld heftig mit den Flügeln schlägt, wenn die Schnecke mal wieder nicht vorwärtskommt – der Schauspieler Kay Kysela ruckelt mit dem Kopf und zuckt mit den gefiederten Armen, es ist eine Augenweide. Deborah Macauleys Schnecke wiederum schleimt aufreizend gechillt und geschmeidig über die Bühne und gibt gern Lebensberater-Weisheiten zum Besten («Schließ deine Augen, atme tief ein und aus»). Sie steckt in einem glamourösen Glitzerkostüm mit Spiralhaushaube, das zwar nur trippelnde ...

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Theater heute 1 2023
Rubrik: Chronik, Seite 62
von Andreas Klaeui

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