Alle Jahre wieder

Kolumne: Die Karawane der Vorsprechen für Schauspielschulabsolvent:innen mit unsicherem Ausgang im November

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Schon länger liegen die Schokoladenweihnachtsmänner und Lebkuchenherzen in den Discountern aus, um die dunkle Jahreszeit zu versüßen und den Advent anzukündigen. Während Regen, Wolken und Kälte unsereinem das Gemüt zu verhängen drohen, sind es, wie jedes Jahr, ca. zweihundert Schauspielabsolvierende aller staatlich geförderten Ausbildungsinstitute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die energiegeladen und spielfreudig sich auf ihre Reise in eine unbestimmte Zukunft begeben. Vom 10. bis 14. November machen sie den ersten Schritt dafür.

Jede:r Einzelne von ihnen hat zehn Minuten Zeit, sich in der Präsentation mit den Kommiliton:innen einem Fachpublikum zu stellen. Eng getaktet ist dieses Programm in Berlin, München und Neuss und gibt schon einen Vorgeschmack, was sie erwarten könnte: Karge Orte an der Peripherie auf dem Weg in den tiefen Osten Berlins zur Studiobühne des BAT oder die Suche nach dem Landestheater Neuss in einer der vielen farblosen westdeutschen Städte und schließlich die Anreise ins mondäne München zur Probebühne zum neuen Gebäude des Volkstheaters. So unterschiedlich sehen auch die Theaterstädte aus, in denen sie dann landen werden. Wenn überhaupt, denn die bange Frage steht im Raum, wer wirklich das Publikum sein wird, das sie erwartet. Applaudieren am Ende nur die Eltern und Freunde, die sich unter die Fachleute mischen, die womöglich fast ausbleiben?

Früher hieß diese vom Deutschen Bühnenverein mit 10.000 Euro geförderte und organisatorisch höchst aufwendige Unternehmung mal «Intendantenvorsprechen». Jetzt heißt sie neutral «Zentrale Vorspiele der Absolvent:innen» und weckt damit keine falschen Hoffnungen. Im Publikum bei fast jedem Vorspiel sind Agent:innen und Caster:innen zu finden, die fleißig einen Tag oder gar mehrere durchhalten, um so viele junge Menschen auf einmal zu erleben. Die Theater schicken oftmals Assistent:innen zur Vorsichtung oder priori -sieren die großen Schulen, denen der Nimbus der langen Tradition anhaftet. So ist es kein Wunder, dass die Gästeliste der Hochschule Ernst Busch meist die längste ist, obwohl viele andere Ausbildungsinstitute spannende und unterschiedliche Profile in den letzten Jahren entwickelt haben. Eine mindestens ebenso lang schon beste -hende Routine ist die Tatsache, dass die arbeitssuchenden Schauspielenden drei Monologe im Gepäck haben sollten: einen klassischen, einen modernen und eine Rolle der eigenen Wahl. Wenig hat sich in der Arbeitsvermittlung geändert, auch wenn das Studium des Schauspiels längst andere Schwerpunkte anbietet und ebenso vielfältig wie die Theaterlandschaft ist.

Letztes Jahr im Dezember gab es erstmals ein Treffen des Deutschen Bühnenvereins mit Vertreter:innen der Studierenden und Lehrenden aller Schauspielschulen, um einfach mal zu klären, was wer und wie von wem erhofft. Angereist waren drei bis fünf Personen aus jedem Institut (ausgenommen einem), während die Bühnenvertretungen meist ausblieben. Sie versanken wohl gerade im Modus der aktuellen Krisenbewältigung. Doch die Fragen wurden fixiert, die es in Zukunft gemeinsam zu beantworten gilt: Mit welchen Erwartungen stehen sich Absolvierende und Theaterschaffende gegenüber? Wie können sie gemeinsam dem öffentlichen Druck von Presse, Politik und Publikum standhalten?

Inzwischen sind in den Hochschulen ebenfalls die krassen Kürzungen von heute auf morgen angekommen: Die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) Frankfurt z.B. soll 10 Prozent einsparen, dabei ist schon jetzt ein Drittel des Ausbildungsetats für Schauspiel durch Fördermittel finanziert. Wir als Studiengangsleitungen müssen also wie die Theater kämpfen, damit unsere Ausbildung für ein vielfältiges Berufsfeld mit Theater, Film und Audio noch zu bewältigen ist – und wenn nicht, werden die jungen Schauspielenden kaum mehr konkurrenzfähig und leistungsstark sein. Denn eines ist sicher: Nicht jeder dieser zweihundert Absolvent:innen wird ein Erstengagement erhalten. Im letzten Jahr fand – laut Statistik der Zentralen Arbeitsvermittlung in Köln – nur jede:r Dritte ein Festengagement. Durch Inflation, Kürzungen und höhere Einstiegsgagen ist eine Gemengelage entstanden, die zu weniger Vakanzen an den Theatern führt.

Um die hochwertige Ausbildung zu sichern, wäre es wichtig, wenigstens die Flut der privaten Schauspielschulen endlich einzudämmen und den Abschluss an den Fach- und Hochschulen als eine geschützte Berufsqualifikation anzuerkennen. Zudem könnte die Woche der Zentralen Vorspiele zugleich genutzt werden, um den Dialog zwischen Theater, Film und Ausbildung in schwierigen Zeiten zu pflegen. Strukturreformen und Spardebatten sind nur gemeinsam zu lösen.

Nach der Vorspielwoche heißt es: Warten, ob eine Einladung zum Vorsprechen ausgesprochen wird, Vorsprechen, die sich mittlerweile in den Frühsommer hineinziehen, bis die Theater sicher planen können. Es ist eine Zeit der Sorgen und Ängste, denn spielen wollen sie alle, auf der Bühne stehen und Teil eines Ensembles sein. Die Frage bleibt nur, unter welchen Arbeitsbedingungen? Unsicherheit macht sich oft bei den jungen Schauspieler:innen vor Weih -nachten breit. Wohin also? Na, erst einmal zum Discounter, um Lebkuchenherzen zu kaufen.

MARION TIEDTKE ist Dramaturgin und Professorin für Schauspiel. Sie leitet den Studiengang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) in Frankfurt am Main.


Theater heute November 2025
Rubrik: Magazin, Seite 71
von Marion Tiedtke

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