Regelbrüche

Ein Schock: Die gefeierte südafrikanische Choreografin Dada Masilo starb im Alter von nur 39 Jahren. Ein Nachruf

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In Anbetracht der frühen Karriere von Dada Masilo haben wir erst spät von ihr erfahren, nämlich 2012 – da war sie 27 Jahre alt und hatte bereits drei abendfüllende Choreografien für die großen Bühnen der Welt geschaffen, die zu diesem Zeitpunkt bereits international tourten. 2006 hatte sie den Preis «Most Promising Female Dance in a Contemporary Style» im Rahmen des Gauteng Arts and Culture MEC Award erhalten. Daraufhin beauftragte sie das «National Arts Festival» mit Choreografien zu «Romeo und Julia» (2008), «Carmen» (2009) und «Schwanensee» (2010).

Was für eine Schaffenskraft! Ihr «Schwanensee» hat uns völlig überwältigt. Dada nahm die Vorlage ernst, verjüngte und verqueerte sie aufs Originellste. Wir überlegten nur kurz, ob wir eine in Hamburg zu diesem Zeitpunkt gänzlich unbekannte Künstlerin in unserer größten Halle präsentieren können und entschieden: No risk, no fun! Wer, wenn nicht Dada, könnte es schaffen! Ihr «Schwanensee» kam zwar von den Kostümen her scheinbar ganz klassisch daher, war aber gleichzeitig eine ganz eigenwillige choreografische Überschreibung.

Ich rief bei Dadas langjähriger Gefährtin und Managerin Suzette le Sueur an. Der Preis schien mir zu hoch für eine so junge Künstler*in, aber Suzette antwortete ungerührt: «Her work is sold out all over the world.» Das war eine Ansage. Im April 2014 war es so weit: Vor ausverkauftem Zuschauer*innenraum bewegten sich die Tänzer*innen rasant in weißen Tutus, mit Schwanenfedern und kurzen Haaren über die Bühne, natürlich ohne Spitzenschuhe, aber auch ohne binäre Rollenverteilung. Ein «Schwanensee», der unerschrocken zwischen Klassik und Moderne, zwischen Europa und Afrika surfte. Minutenlange Standing Ovations waren der Beginn einer innigen Liebesbeziehung zwischen unserem Hamburger Publikum, Masilo und ihrer Company. Im September 2024 eröffnete sie mit «Hamlet» unsere aktuelle Spielzeit.

Aufgewachsen in Soweto, begann Dada in der Dance Factory Johannesburg zu tanzen, gegründet 1992 zur Förderung von Kindern und Jugendlichen. Später wechselte sie an die National School of Arts, an der sie Ballett und zeitgenössischen Tanz studierte. Schon als Vierzehnjährige war sie von Anne Teresa De Keersmaekers Kompanie Rosas fasziniert, damals hatte sie ein Video der Choreografin so sehr beeindruckt, dass sie bei ihr studieren wollte. Mit nur 19 ging sie nach Brüssel an die Tanzschule P.A.R.T.S., die ihr großes Vorbild gegründet hatte.

Seitdem hat sich Dada Masilo mit ihren choreografischen Arbeiten, die sich durch wagemutige Neuinterpretationen klassischer Ballettwerke auszeichnen, international als eine der radikalsten und innovativsten Stimmen im Tanz etabliert. Ihre Inszenierungen waren nicht nur von technischer Virtuosität und Leichtigkeit geprägt, sondern ebenso von tiefgreifender gesellschaftlicher Reflexion. Sie hinterfragten normativ geprägte Rollenbilder, Positionen und Handlungsräume im Ballett, thematisierten Diskriminierung, Homophobie oder Gewalt auf der Bühne und gaben damit all jenen eine Stimme, die in der Erzählung des klassischen Tanzes oft unerwähnt bleiben.

In ihren Arbeiten suchte Dada nach Verbindungen zwischen den Geschichten und Ästhetiken afrikanischer und europäischer Kulturen. Sie verstand sich als Künstlerin, die die Regeln des klassischen Balletts erlernt hat, um sie gezielt zu brechen und zu erweitern, um neue Erzählungen, Perspektiven und ästhetische Räume zu schaffen. Im Dezember vergangenen Jahres wurde sie von ihrer Heimatstadt Johannesburg als eine von 44 «Artistic Icons in the City of Gold» mit einem Stern geehrt, eingelassen in die Wand des Theaters von Soweto. Zudem erhielt sie in Italien den Preis für ihr Lebenswerk. Seit 2012 wurden ihre Stücke in 30 Ländern und 176 Städten weltweit aufgeführt.

Am 29. Dezember ist Dada Masilo gestorben. Ein Schock. Zuletzt arbeitete sie an einem Solo, dass sich inhaltlich mit dem Verlust von geliebten Menschen auseinandersetzen sollte. Wir vermissen Dada Masilo schon jetzt, ihre Arbeiten werden uns bleiben.

Amelie Deuflhard ist Intendantin des Hamburger Produktionshauses Kampnagel, Luise März Tanzdramaturgin auf Kampnagel


Tanz Februar 2025
Rubrik: Menschen, Seite 18
von Amelie Deuflhard und Luise März

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