Liebesglück
Eine charismatische Erscheinung, dabei ist Cesar Corrales ganz einfach, nämlich komplett in Schwarz gekleidet. Seine Haare sind ebenfalls schwarz, seine Gesichtszüge männlich-markant, das Lächeln natürlich und strahlend. In unserem Gespräch zeigt er sich von schonungsloser Offenheit, selbst auf persönliche Fragen antwortet er ohne zu zögern. Ich habe schon viele Tänzer interviewt, aber noch nie hatte ich es mit einem derart vorbehaltlosen Gegenüber zu tun.
Corrales fühlt sich sichtlich wohl in seiner Haut – ein Sohn liebevoller Eltern, der lieber über seine Familie spricht als über seine Triumphe in den großen klassischen Partien im Repertoire des Royal Ballet. Egal, ob er Franz, Siegfried oder Onegin verkörpert: Sein ungezwungener Glanz, seine beispiellose Musikalität veredeln jede Rolle.
Umzüge
Als ich die zahlreichen Ortswechsel in seinen jungen Jahren anspreche, stimmt mir Corrales augenblicklich zu: «Ja, ich hatte in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Kindheit. Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört das ständige Umziehen. Meine Eltern – Taina Morales and Jesus Corrales – waren beide professionelle Balletttänzer und sind ziemlich oft umgezogen. Mitte der 1980er-Jahre verließen sie Kuba, um in Mexiko zu tanzen, dann gingen sie nach Kanada zum Royal Winnipeg Ballet. Ich habe immer noch Verwandtschaft in Kuba, aber als ich meine Großmutter dort besuchte, war ich ein bisschen schockiert von den dauernden Stromausfällen und ähnlichen Dingen. Das stand in ziemlichem Kontrast zu meinem Leben in Kanada», erinnert er sich und fährt fort: «Als junger Erwachsener habe ich mir über meine Zukunft keine Gedanken gemacht. Irgendwie wusste ich immer, dass sie im Ballett lag. Ich steckte ja von Anfang an im Ballett-Lifestyle drin, also entwickelte sich das alles beinahe zwangsläufig. Schon früh drückte ich mich im Studio meiner Eltern mittels Bewegung aus. Eine ganze Menge davon ist sogar auf Film festgehalten. Sobald ich laufen und herumrennen konnte, fing ich an, mit meinem Körper Geschichten zu erzählen. Ich war ein athletisches, sportbegeistertes Kind.» Seine Mutter gab ihn in den Turnunterricht, weil sie wusste, dass er dort einen Ballettkörper ausbilden und Disziplin lernen würde. Eher klein von Statur, betrachtete schon der Siebenjährige Tanzen und Turnen nicht nur als spaßige Angelegenheit. Seinen Coaches und Lehrern zollte er Respekt, trat in nationalen Wettbewerben gegen spätere Olympia-Teilnehmer an. Dann der Ausstieg: «Mit 13 fängst du dann an, Muskeln zu entwickeln, die einem Ballettkörper nicht mehr zuträglich sind. Meine Schultern und mein Nacken wurden ziemlich mächtig, also hörte ich mit dem Turnen auf und merkte, dass ich die Tanzschritte, die ich schon in jungen Jahren beherrscht hatte, erst wieder ganz neu lernen musste. Es gibt eben keine Sportart, die einem die perfekte Muskulatur fürs Ballett beschert», weiß Corrales.
Statt ihn selbst zu unterrichten, schickten ihn die Eltern an die Ballettschule des National Ballet of Canada. «Dort litt ich unter schlimmem Heimweh und weinte die ganze Zeit», gesteht Corrales ohne Scham. «Nach einem Jahr schmiss ich die Schule, weil ich lieber zu Hause sein wollte. Trotzdem habe ich tolle Erinnerungen an diese Zeit und meine Freunde dort.» Die Mutter beschließt, den Filius unter ihre Fittiche zu nehmen: «Es war das erste Mal, dass sie eins zu eins mit einem Kind arbeitete. Sie war wie ein Schwamm, der alles Wissen aufsog, kannte die Tanzstile sämtlicher Nationen, brachte mir aber dennoch weder den kubanischen noch den russischen bei, sondern nur das jeweils Beste aller Stile. Sie begann bei null, mit langen Sessions an der Stange. Obwohl meine Eltern beide sehr hart arbeiteten, brachten sie große Opfer, um mir Trainingszeit in ihrem Studio einzuräumen.»
Und wann kam Billy Elliot? «Ich wurde 2008 für die Chicagoer Produktion besetzt. Wir bekamen allerdings bloß dreimal pro Woche Unterricht bei ständig wechselnden Lehrern. Meine Eltern erkannten die Probleme, die das mit sich brachte, und so kam es zu einem massiven Krach zwischen meiner Mutter und der Regie. Um ein Haar wäre ich kurz vor der Premiere noch ausgestiegen. Meine Mutter schwor nun mal auf korrektes Training … um es kurz zu machen: Am Ende war sie es, die sämtliche Billys trainierte. Die Proben fanden in New York statt, und meine Eltern begleiteten mich abwechselnd. Mein Bruder Lazaro, der beim Royal Danish Ballet tanzt, hat unter der vielen Umzieherei mehr gelitten als ich, und für ihn fiel auch weniger Zeit mit meinen Eltern ab.» Zwei Jahre lang spielt Cesar den Billy in den Shows von Toronto und Chicago, 100 Vorstellungen eines Musicals – «da nimmt man zwangsläufig ein paar schlechte Gewohnheiten an».
Umwege
2013 gewann Corrales den «Prix de Lausanne». «Ich war überhaupt nicht darauf aus, Wettbewerbe zu gewinnen, und hatte auch keine Ambitionen, Principal zu werden. Ich liebte einfach nur die bravourösen Schritte, und mein Idol war mein Vater. Der «Prix de Lausanne» war nur eine Gelegenheit für mich zu zeigen, was ich konnte. Zwischen 13 und 16 hatte ich hart an meiner Technik gearbeitet, und zum ersten Mal tanzte ich nun bei diesem Wettbewerb eine klassische Variation in Tights! Zu gewinnen fühlte sich seltsam an. Ich nahm das Stipendium nicht an, weil ich lieber bei meiner Mutter in Oslo weitertrainieren wollte. Also wurde mir der Preis aufgrund eines Formfehlers wieder aberkannt. In den folgenden sechs Monaten verbrachte ich drei Stunden täglich mit meiner Mutter im Studio. Das war heftig.» 2014 tritt er als 17-Jähriger für ein halbes Jahr in die Junior-Kompanie des American Ballet Theatre ein, das aber seiner Teilnahme am «YAGP Grand Prix» Steine in den Weg legt – er stolpert nicht. Und gewinnt tatsächlich.
Durchbrüche
«Zum English National Ballet stieß ich 2015 – wegen Tamara Rojo und Loipa Araújo, beide fantastische Coaches, und weil man dort auf landesweite Tourneen ging, die für meine Entwicklung sehr wichtig waren. Einen riesigen Durchbruch als Künstler hatte ich, als ich mit 18 Jahren den Ali in ‹Le Corsaire› tanzte, wofür ich 2016 den «Emerging Dancer Award» des Critics’ Circle bekam. Ich tanzte die Rolle an der Seite von Alina Cojocaru, was durchaus beängstigend war, denn sie ist ja ein Megastar. Was Partnering-Skills angeht, lernte ich damals sehr schnell, und so gab ich als Ali alles. Wenn man seine Führerscheinprüfung besteht, ist man noch kein guter Autofahrer. Der wird man erst nach einem Jahr Erfahrung im Straßenverkehr. Genauso war es auch im ersten Jahr beim ENB. Und dann kreierte Akram Khan für seine Neuproduktion von ‹Giselle› die Rolle des Hilarion für mich. Das öffnete mir die Augen dafür, wie man mit dem Körper eine Geschichte erzählt – ein weiterer Durchbruch.» Technische Glanznummern hatte er schon lange drauf, aber seit Khan weiß er auch, wie man als Künstler etwas erzählt. Es folgte: Wechsel zum Royal Ballet, wo er an der Seite von Marianela Nuñez und Natalia Osipova als Solor in «La Bayadère» debütierte. «Damals hatte ich ziemliche Schmerzen, da ich eine komplizierte Knochenverletzung im Fuß hatte, die man schon viel früher mit einem Nagel hätte versorgen müssen. Nach den Vorstellungen ging ich zu einem portugiesischen Chirurgen, der mir schließlich die Knochensplitter entfernte. Als ich mich wieder erholt hatte, begann ich, mit Francesca Hayward an ‹Romeo und Julia› zu arbeiten. Wie gut man auch sein mag, man braucht eine tolle Partnerin und die Unterstützung der Kollegen, wenn man Spitzenleistungen erbringen will. Jedes Ballett bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich: ‹Schwanensee›, ‹Dornröschen›, ‹Cinderella› – sie alle stellen ganz unterschiedliche Anforderungen. Ich respektiere die Anforderungen jeder Rolle, immer. Ich will nicht auf die Bühne gehen und beweisen, dass ich Cäsar bin, oder meine eigene Kultur in meiner jeweiligen Rolle zum Ausdruck bringen. Als Prodigal Son etwa verkörperte ich eine Figur, die überhaupt nicht meine Person widerspiegelt, und doch gab ich mein Bestes, um überzeugend zu wirken. ‹Romeo und Julia› dagegen ist für mich ein ganz besonderes Ballett, weil ich in Francesca Hayward die Liebe meines Lebens gefunden habe. Sie ist eine großartige Darstellerin und hilft mir dabei, das Beste aus mir herauszuholen.»
Das nächste, was ansteht: die Hochzeit mit Francesca Hayward, die Cesar Corrales im Gesprächsverlauf liebevoll «Frankie» nennt. Beide wohnen mitten in London, in Soho, fußläufig zu Covent Garden. Ein Ortswechsel? Derzeit eher nicht: «Mein Lifestyle ist meine Arbeit. London hat eine pulsierende Kunstszene, hier ist ungemein viel los. Frankie ist auch als Model gefragt. Manchmal modeln wir auch als Paar. Der Diamantenproduzent De Beers hat uns für ein Valentinstag-Shooting angefragt, aber eigentlich ist das nebenberufliche Modelling Frankies Ding. Ich bleibe da ganz dem Ballett treu.» Aus dem Englischen von Marc Staudacher
Cesar Corrales und Francesca Hayward tanzen die Balkon-Szene aus «Romeo und Julia» bei einer Gala des Royal Ballet im LG Arts Center Seoul, vom 4. bis 6. Juli; www.roh.org.uk

Tanz Juli 2025
Rubrik: Menschen, Seite 30
von Mike Dixon
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