Frühlingsop(f)er
«Le sacre du printemps» fegt durch die choreografische Landschaft wie ein Schneeball, der zur Lawine anwächst. Von Lateinamerika bis Asien und Afrika begegnet man Choreografen, die erzählen, wie sie einst ein Video von Pina Bauschs «Frühlingsopfer» sahen und dann beschlossen, ihr Leben dem Tanz zu widmen. Einen ähnlich prägenden Einfluss hat sonst wohl nur Marcel Marceau bei den Mimen hinterlassen. Wer von Theater oder anderen Sparten zur inoffiziellen Bausch-Sekte wechselt und seinen «Sacre» wohl interpretiert hat, gehört bald zu den interessanteren Vertretern seiner Zunft.
Garantiert.
Aber wieso «Sacre»? Ist es der Hauch von Skandal, das Monströse, das Tier im Menschen? Vor einem Jahrhundert ging man noch auf die Kirmes, um sich zu vergewissern, dass das Mons-ter in der Bartfrau, der Negerin und im Missgebildeten schlummert. Heute leben sie im Fernsehen als Kannibalen, Amokläufer und drogenabhängige Stars. Periodisch werden Ängs-te vor den eigenen Abgründen kollektiv auf Behinderte, Einwanderer oder andere Minderheiten abgewälzt. Legt ein Künstler aber den Kunstfreunden nahe, das Monster doch in sich selbst zu suchen, kommt es zu aggressiven Reaktionen der Zuschauer, oder es ...
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Mit flügelartig ausgebreiteten Armen springen die Tänzer hoch ins Licht. Geblendete Falter, gefangene Freiheitssucher, eingeschnürt in gefältelte Korsette wie fahle Zwangsjacken. Itzik Galili erzählt als Gastchoreograf des Balletts Kiel seine «Different Stories» vornehmlich im Dunkeln. Weiße Scheinwerferstrahlen von schräg oben oder von der Seite, ausgeklügelt...
Bob Curtis aus Mississippi, 1994 nach Österreich übersiedelt, war in gewisser Weise der Doyen der Wiener Tanzszene. Seine hagere Gestalt, sein ebenmäßiges Gesicht, seine Eleganz und Bescheidenheit machten Curtis nach fast 60 Jahren in Wien zum charismatischen Vertreter einer effektvollen Mischung aus afrikanischem Tanz, Ballett und Modern-Dance-Elementen. Bei all...
Dieser «Sacre du printemps» war ein Schock und nicht ohne Weiteres vom Publikum zu verkraften. 2003 choreografierte Uwe Scholz in Leipzig die «Bilder aus dem heidnischen Russland» gleich doppelt: als ein «Ballett in zwei Teilen», das Igor Strawinskys epochale Musik zunächst in einer Version für zwei Klaviere vorstellt, um erst danach die berühmt-berüchtigte...