Bel-ami
Erste Premiere, erste Pause: Im Parkett, vor Reihe 12 des Leipziger Opernhauses, hat sich eine kleine Menschentraube gebildet. «Bon soir», «Hello», «Hola» schallt es kreuz und quer, man liegt sich in den Armen, Freunde begrüßen einander. «Lange nicht gesehen, comment ça va?» Ein Kopf ragt ein wenig über die anderen hinaus – strahlendes Lächeln im Gesicht. Rémy Fichet wirkt gelöst, ja eine Spur beglückt. Noch ist die Vorstellung nicht zu Ende, aber kein Zweifel: Es funktioniert.
Mit sicherem Gespür hat der neue Ballettdirektor das Leipziger Publikum abgeholt, indem er die junge amerikanische Choreografin Lauren Lovette auf einen Ohrwurm-Klassiker ansetzte – et voilà, das lässt sich prächtig an. So prächtig, dass eineinhalb Stunden später nach dem tragischen Tod von «Romeo und Julia» keine fünf Sekunden vergehen, bis der ganze Saal auf den Beinen ist und stehend applaudiert. Da mögen etliche Steine vom einen oder anderen Herz purzeln. Der Kurswechsel, den Fichet eingeleitet hat, steuert Richtung neoklassisch getönte Ästhetik – und wird offenbar akzeptiert. Eine Neuausrichtung, die sich als bewusste Abkehr von der Ära des erfolgreichen Vorgängers Mario Schröder lesen lässt.
Kuratiere ...
SOFIA NAPPI, LOUIS STIENS «HUMANS»
Beide Künstler*innen sind jung, beide sind sehr talentiert – trotzdem geht Leipzigs Ballettchef Rémy Fichet ein Wagnis ein, wenn er Sofia Nappi und Louis Stiens einen ganzen Abend anvertraut. Das Ergebnis indes überzeugt, gerade weil beide völlig unterschiedliche choreografische Instrumente auspacken. Nappi, seit ihrem Deutschlanddebüt mit eigener Truppe beim Stuttgarter «Colours-Festival» 2020 nicht mehr vom Radar verschwunden, nimmt Clara Schumanns einziges Klavierkonzert als Katalysator einer stürmischen Tanz-Ode: «Duende» entfesselt kreatives Chaos und sprengt jedes Beziehungsgefüge. Da züngeln Arme empor wie orkanartige Windböen, nur um sogleich wieder im Dunkel zu verzischen. Beine werden breit aufgepflanzt, bis ein Drehoder Sprungtaumel den ganzen Körper erfasst. Soli, Duos und Tutti bespiegeln den menschlichen Zustand zwischen Über- und Unterspannung, einpegeln auf die Mittellage wird sich hier niemand.
Auch nicht bei Stiens, dessen «Strip» in eine heißkalte Auseinandersetzung geht: Lauter Polaritäten, die schon in den schwarzweißen, vom Choreografen eigenhändig entworfenen Kostümen aufeinanderstoßen. Der gebürtige Münchner nimmt den ...
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Tanz Mai 2025
Rubrik: Hinter den Kulissen, Seite 66
von Dorion Weickmann
Wie barock ist ein Motorrad? Wie reagiert ein auf ihm sitzender, in diabolisches Schwarz gekleideter Reiter, der in einer Tiefgarage auf eine ätherische, in hellen Taft gekleidete Figur trifft, während Mozart, Händel, Purcell oder Dowland gespielt werden? Und was, wenn dazu noch der weiße Spieler den Schwarzen bezirzt, der wie eine marmorne Heldenstatue auf seinem...
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