«Ne me touche pas!»

Richard Brunel und Florent Hubert beleuchten in ihrer szenisch wie musikalisch maximal verdichteten Lesart von Debussys «Pelléas et Mélisande» vor den Toren Lyons in erster Linie das Unglück einer traumatisierten Femme fragile

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Sensibel in der Zeichnung der Figuren, subtil in der Reduzierung der Partitur auf gerade mal fünf Instrumente und spannend erzählt wie ein Krimi – so kommt diese maximal verdichtete Version von «Pelléas et Mélisande» daher. Das impressionistische Drame lyrique, das Debussy als Sohn des Fin de Siècle 1902 mit scheinbar von der Welt entfernter Entrücktheit auf den Text von Maurice Maeterlinck erdachte, heißt hier zeitgemäß feministisch nur mehr «Mélisande».

Die typisierte Femme fragile eines zauberhaften Unschuldswesens muss eben heute nicht mehr als bloße Projektion männlicher Begierden erscheinen. Das märchenhafte Mädchen braucht kein ergänzendes «und» mehr, um vollends seine Existenz zu definieren, es ist zu einer modernen französischen Frau mutiert, die sich ihrer Wirkungsmacht auf das einst starke Geschlecht sehr wohl bewusst ist und die in ausgeprägter Natürlichkeit damit spielt. Den Ring, den ihr Golaud als Pfand ihrer lieblosen Beziehung an den Finger gesteckt hat, verliert sie eben nicht einfach so wie ein Kind beim naiven Herumtollen am Teich: Die Emanzipierte wirft ihn bewusst ins Waschbecken des gemeinsamen Lofts, hätte ihn beim Abschrauben des Abflusses später sogar fast ...

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Opernwelt Mai 2023
Rubrik: Im Fokus, Seite 24
von Peter Krause

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