Ist nicht die Seele nur ein Wahn?

Überaus verdienstvoll: Die Oper Leipzig bringt Lortzings Grand opéra allemand «Undine» in nahezu ungekürzter Fassung heraus

Ein Biedermeierkomponist, ein Fabrikant von Potpourris hübscher Melodien, den man tunlichst nicht in einem Atemzug mit Weber und Wagner nennt: Diese tief verwurzelten Vorurteile gegen den Komponisten Albert Lortzing widerlegte das Gewandhausorchester Leipzig jetzt grandios. Erst die gewaltig berstende Ouvertüre und später manch andere symphonisch-polyphone Passage erweckten den unbekannten Lortzing zum Leben, den Meister des souverän beherrschten Tonsatzes. Und Christoph Gedschold wusste vom Pult aus der ausgefeilten Instrumentation die wärmsten Töne abzugewinnen.

Die in Leipzig gegebene Fassung der «Undine» – die «vollständigste» Version seit vielen Jahrzehnten – etabliert das Werk als ein durch seine musikalischen und textlichen Motive eng verzahntes Gebilde, als einen ehernen Fels in der allzu oft seichten See deutscher Opernromantik.

Lortzing vermochte aus dem Souterrain gaukelnder Theatertruppen bis in den Olymp zu steigen, denn er war eine «synthetische Person», wie Novalis sie charakterisiert hatte, «eine Person, die mehrere Personen zugleich ist – ein Genius». Der Pluralismus als innerstes Wesen der Romantik, dank Tiecks «Phantasus» einst auf der künstlerischen ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt 12 2022
Rubrik: Im Focus, Seite 16
von Volker Tarnow

Weitere Beiträge
Die Taube fliegt nicht mehr

Der Ort ist pikant. Und mit tristen Bildern reichlich gefüllt. Nur wenige Steinwürfe von der Deutschen Oper Berlin wurde am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg vom West-Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras im Rahmen der Proteste gegen das iranische Schah-Regime Mohammad Reza Pahlavis getötet, mit einem Schuss in den Hinterkopf. Berühmt geworden ist das Foto,...

Mehr als ein Versprechen

Pauline Viardot war eine der großen Künstlerfiguren des 19. Jahrhunderts. Als Tochter einer weitgereisten spanischen Sängerfamilie, Schwester der berühmten Diva Maria Malibran und des nicht minder berühmten Gesangslehrers Manuel García junior schien ihr Weg vorgezeichnet. Doch die Viardot wollte, als Schülerin Reichas und Liszts, Komponistin werden und wurde es...

Zu Viel! Zu Viel!

Wer Kunst schafft, will Ewigkeit – Unsterblichkeit im eigenen Werk. Heinrich Tannhäuser, als Minnesänger eine Art Singer-Songwriter des Mittelalters, ist in der Liebeshöhle der Venus auf dem besten Weg zu solchen höheren Weihen. Er komponiert, und die Göttin ist bereit, ihn zum Gott zu machen. Dazu muss er allerdings an ihrer warmen Brust verweilen. Doch der...