In tiefer Einsamkeit
Manchmal braucht es keine aufwendigen Mittel, um große Wirkungen zu erzielen. Der überlange Tisch, an dem die Figuren im schlichten Bühnenbild von Norman Heinrich einander oft starr gegenübersitzen, weckt unweigerlich die Assoziation an das zynische Verhandlungsarrangement des russischen Kriegsverbrechers Wladimir Putin. An diesem Tisch sitzt Telramund, der alte, wütende Mann, als Blinder vor seinem Schachspiel, während Ortrud, giftblonde Funktionärin in königsblauer Uniform, für ihn die Figuren zieht.
Die angeklagte Elsa verkriecht sich darunter wie ein traumatisiertes, Schutz suchendes Kind. Lohengrin und König Heinrich bevorzugen für ihre großen Ansprachen die dem Publikum zugewandte Mitte des Tisches. Die Assoziation mit dem Kreml reicht aus, um eine Stimmung zu etablieren – und ist doch zugleich allgemein genug, um den Blick nicht zu verengen. Sie muss nicht szenisch durchdekliniert werden.
Patrick Bialdyga, Hausregisseur und künstlerischer Produktionsleiter der Oper Leipzig, widersteht der Versuchung, Wagners Oper eine politisierende Deutung überzustülpen. Man könnte diese Beobachtung natürlich auch umkehren und ihm genau dies, das Fehlen einer genialischen ...
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Opernwelt Mai 2022
Rubrik: Im Focus, Seite 26
von Julia Spinola
Ach ja, das Leben. Schön ist es und schwer, doch nie ganz ohne Hoffnung, schließlich ist das Träumen bei allen Schicksalsschlägen, die man im Verlauf der (wie eine Windsbraut vorüberrauschenden) Jahre oder Jahrzehnte erleidet, immer erlaubt. Auf der Suche nach Beispielen für diese wehmütig-utopische Seins-Anschauung wird man in den beiden naturalistischen Romanen...
Sollte man nicht glücklich sein, wenn man eine hervorragende Inszenierung gesehen hat? Handelt es sich dabei um eine Inszenierung von Alban Bergs «Wozzeck», so ist die Frage, was «Glück» bedeuten kann, angesichts eines Werks, das schlichtweg perfekt ist, das aber an keiner Stelle (nirgends) so etwas wie «Hoffnung» zulässt.
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