Heilige Stuhlprobe

Johannes Erath zeigt Wagners «Meistersinger» in Frankfurt als Operette – und macht damit alles richtig

Opernwelt - Logo

Will man im Internet flugs «Komplexität» bebildern, so finden gerne riesige vollgekritzelte Tafeln Verwendung. Ein bisschen schwingt auch immer traurig die «Einsamkeit des Genies» mit, wird man solcher Kreidekrümel auf grünem Grund gewordener – meist mathematischer – Gedankenströme ansichtig (Cineasten denken in diesem Moment vielleicht an den Film «A Beautiful Mind» von 2001, in dem es zu derlei deduzierenden Exzessen kommt).

 

Eine solche übergroße – an der Oper Frankfurt jetzt ins grotesk Riesenhafte gezogene – Tafel voller Hieroglyphen füllt bereits als Projektion vor Beginn die gesamte Bühne. Bühnenbildner Kaspar Glarner erinnert damit an einen der Grundkonflikte von Richard Wagners «Die Meistersinger von Nürnberg»: die Dialektik von (mahnend eingeforderter) Regelkonformität und gewähren lassender Innovationsoffenheit. Wagner hat sich in diese furiose «Operette mit ‹Tristan›-Tiefgang» auf zweierlei Weise mit hineingeschrieben. Er erscheint aufgespalten zwischen Neuling und Rebell Walther von Stolzing, dessen Kopf neutönende Melodien und Texte zur gleichen Zeit entspringen, und Hans Sachs, dem legendären Schuster-Dichter, der einerseits die Regeln kennt, diese jedoch zu ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt 12 2022
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Arno Lücker

Weitere Beiträge
Erotische Gebete

Dreihundert Mélodies hat Jules Massenet komponiert, mehr als jeder andere Komponist zwischen Berlioz und Poulenc. Dennoch nimmt er in der Geschichte des französischen Lieds nur einen Randplatz ein. Gewiss, mit der großen Liedlyrik von Duparc, Fauré oder Debussy kann er sich nicht messen. Die meisten Stücke sind Gelegenheitskompositionen, für den Salon bestimmt,...

Die Taube fliegt nicht mehr

Der Ort ist pikant. Und mit tristen Bildern reichlich gefüllt. Nur wenige Steinwürfe von der Deutschen Oper Berlin wurde am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg vom West-Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras im Rahmen der Proteste gegen das iranische Schah-Regime Mohammad Reza Pahlavis getötet, mit einem Schuss in den Hinterkopf. Berühmt geworden ist das Foto,...

Ein Traum in Chamois

Kein Grieseln und Grausen, überhaupt kein finsterer Hexenwald wie im Märchen. Es ist ja auch keines. Humperdincks «Königskinder» (im Schatten des so viel populäreren Stücks «Hänsel und Gretel») können ja nicht leben, glücklich bis an ihr Ende, sie sterben einen elenden Kältetod, und sei er noch so betörend überglänzt von Verklärungsmusik und Kinderchor! Es ist ein...