Entmystifiziert
Man sieht es und staunt: Der männliche Titelheld ist verdoppelt, also stirbt er auch zweimal. Während Tristan eins, singender (Privat-?)Patient einer Luxusklinik, exakt an der vom Komponisten bezeichneten Stelle ins Jenseits wandert, beobachtet sein Schauspiel-Double vom Rollstuhl aus dessen Sterben wie ebenfalls Isoldes Liebestod. Erst dann gibt auch der Doppelgänger seinen Geist auf – nachdem er die Geschichte einer zwanghaften Liebe und eines unschuldigen Verrats noch einmal hatte durchleben müssen.
Oder vielleicht doch nicht?
Regisseur Jean-Claude Berutti hält sich an der Opéra Royal de Wallonie, wo «Tristan und Isolde» seit fast einem Jahrhundert nicht mehr zu sehen war, die Option zumindest offen, dass die Imaginationen des Todkranken pure Hirngespinste sein könnten – Isolde kniet in Krankenschwesternuniform und mit einer Reiseapotheke (inklusive Liebes- und Todestrank) an Tristans Lager. Gut möglich also, dass der Siechende sich die Pflegefachkraft nach seinem Wunschbild zurechtphantasiert. Allerdings hat Berutti die Sache nicht ganz zu Ende gedacht. Statt des Oszillierens zwischen Bedeutungsebenen sehen wir in seiner Inszenierung lediglich eine Hängepartie. Immerhin ...
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Opernwelt März 2025
Rubrik: Panorama, Seite 43
von Michael Kaminski
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