Die zarte Pflanze Glück
Das Glück? Gleicht ein bisschen dem Mond. Allzu selten erscheint es in vollem Glanze, und dann auch nur für Augenblicke, bevor es wieder abnimmt, Stück für Stück, und schließlich wie von Geisterhand verschwunden ist, im Irgendwo, dort also, wo man es nicht findet, selbst wenn man sich auf die Suche danach begibt. Für Jenůfa ist diese Abwesenheit von Glück der Normalzustand, weil ihr Leben aus lauter Missverständnissen besteht und auf Unverstandensein gründet. Sie passt nicht in diese Welt, die das Glück anders definiert als sie selbst, deswegen ist sie zum Scheitern verurteilt.
Alles, was sie in Angriff nimmt, prallt ab an der Faktizität der gesellschaftlichen Realität, aber auch an ihrem Anderssein.
In Tatjana Gürbacas Genfer Inszenierung sieht man das von Anfang an. Jenůfa ist eine Fremde, sie findet keinen Zugang zu dem, was um sie herum passiert. Im adrett gemusterten, blauweißen Sommerkleid, das Silke Willrett ihr geschneidert hat, steht sie unterhalb der dunkel getäfelten Treppe, die Henrik Ahr auf die Bühne des Grand Théâtre gewuchtet hat und die umgrenzt wird von einem gewaltigen Holzdach; in diesem «Haus» wohnt keine Wärme, zudem wirkt es so, als wäre ein Entkommen ...
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Opernwelt 7 2022
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Jürgen Otten
Der Dunst der Dekadenz schwebt über den üppig orchestrierten Klängen des Italo Montemezzi. «L'amore dei tre re» atmet die Schwüle des Fin de Siècle. Am 10. April 1913 wurde das Poema tragico an der Mailänder Scala gleichwohl zu einem Uraufführungstriumph, der kurz darauf vom Erfolg der (von Arturo Toscanini an der Met dirigierten) USA-Premiere noch übertroffen...
Dass ihre Oper bis zur Uraufführung am Theater Freiburg derart an Brisanz gewinnen sollte, hätten sich Librettist Clemens Bechtel und Komponist Fabrice Bollon vermutlich auch nicht träumen lassen. Doch seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind so manche Gewissheiten der westlichen Welt diffundiert. Und die Frage des Dafür, Dagegen oder Dazwischen hat eine...
Claude Debussys 1902 uraufgeführte Anti-Oper «Pelléas et Mélisande» steht wie ein erratischer Block am Beginn des 20. Jahrhunderts. In seiner Vertonung des Maeterlinck’schen Prosaschauspiels negiert Debussy alles, was bis dahin die Gattung ausmachte – Arien, Ensembles, Chöre, Melodien, in der rhythmisierten, dem Rezitativ angenäherten Deklamation des Worts selbst...