Das zersplitterte Ich
Beim Schlendern durch Genuas Gassen stößt man irgendwann auf eine Gedenktafel, die besagt, dass in diesem Haus der französische Dichter Paul Valéry 1892 ein nächtliches Gewitter von apokalyptischem Ausmaß erlebte, welches ihn kathartisch veränderte, als Lyriker verstummen ließ. In «Die Nacht von Genua» hat er die Identitätskrise thematisiert: «Überall Gewitter. Bei jedem Blitz blendende Helle in meinem Zimmer. Und mein ganzes Schicksal spielte sich in meinem Kopf ab. Ich bin zwischen mir und mir.
» Nicht zufällig hat der Verwirr-Systematiker Mauricio Kagel einen Satz Valérys zum Motto erkoren: «Zwei Gefahren bedrohen unaufhörlich die Welt: die Unordnung und die Ordnung.» Er hätte ebenso Arthur Rimbauds Formel «Je est un autre» wählen können: Bewusstseinsspaltung allenthalben.
Nun brachte das Staatstheater Mainz zwei Werke heraus, die sowohl dem Ich im inneren Unwetter als auch Genua als Ort individueller wie politischer Katastrophen galten: Georges Aperghis’ «Avis de Tempête» von 2004 (als deutsche Erstaufführung) und Verdis «Simon Boccanegra». Mit seinen «Thinking Things» bot der griechisch-französische Komponist Aperghis 2018 in Donaueschingen eine zwingende Verschränkung von ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt Mai 2019
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Gerhard R. Koch
Diese späte Oper gehörte lange nicht zum Kanon seiner Hauptwerke für die Bühne: «La clemenza di Tito». Selbst in den Mozart-Hochburgen Salzburg und Glyndebourne blieb sie hartnäckig ausgeblendet. Die erste Studioaufnahme entstand erst 1967 unter István Kertész (Decca). Eine jetzt erstmals publizierte Rundfunkproduktion der BBC von 1956 darf man unter diesen...
Ganz verschwunden war sie nie, die abgöttische Verehrung großer Sängerinnen und Sänger. Von der Hysterie, die im 18. Jahrhundert Auftritte des Kastraten Carlo Broschi (Farinelli) oder der Primadonna Francesca Cuzzoni begleitete, bis zum Tenorissimo-Taumel um Enrico Caruso oder zur Assoluta-Verklärung der Callas im 20. Jahrhundert reicht diese frenetische...
Einen Filmregisseur für eine Inszenierung von «La fanciulla del West» einzuladen, ist naheliegend, enthält Giacomo Puccinis Oper aus dem Jahr 1910 doch alle Topoi des zeitgleich entstehenden Filmwestern. Dabei bedient Andreas Dresen diese Topoi an der Bayerischen Staatsoper keineswegs. Keinen Saloon hat ihm der Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau gebaut, sondern...
