Beißend und bitterböse
Nichts ist ungeheurer als der Drache – allerdings nur so lange, wie er wütet zwischen den Menschen. Jenes Monstrum jedoch, das Paul Dessau in seiner Oper «Lanzelot» auf ein mal düster-dräuendes, mal sarkastisch schmatzendes Libretto von Heiner Müller besang (dem wiederum die wunderbar traurige Parabel «Der Drache» von Jewgeni Schwarz zugrunde lag), schlief nach seiner Taufhebung 1969 und zwei Folgeaufführungen ein halbes Jahrhundert lang, bevor es – in einer rauschhaften Aufführung am Deutschen Nationaltheater Weimar – wieder aufgeweckt wurde.
Hatte noch der Komponist selbst sein Ungeheuer als Symbol für den Faschismus und den Titelhelden als «Sinnbild für die Befreiung von jeglicher Ausbeutung» bezeichnet, so findet sich die wahre Tiefe des mit mehr als 150 Beteiligten übermäßig üppigen Werks in jenem so messerscharf und zugleich sublim gezeichneten Verhältnis zwischen der Macht und denen, die ihr verfallen sind
Im März 1970 widmete die Zeitschrift «Theater der Zeit», damals das «Organ des Verbandes der Theaterschaffenden der DDR», eine Ausgabe Paul Dessaus Oper «Lanzelot», die am 19. Dezember 1969 ihre Uraufführung an der Staatsoper Berlin gehabt hatte, Regie führte Ruth ...
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Opernwelt Jahrbuch 2020
Rubrik: Wiederentdeckung des Jahres, Seite 40
von Egbert Tholl
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