Zu Viel! Zu Viel!
Wer Kunst schafft, will Ewigkeit – Unsterblichkeit im eigenen Werk. Heinrich Tannhäuser, als Minnesänger eine Art Singer-Songwriter des Mittelalters, ist in der Liebeshöhle der Venus auf dem besten Weg zu solchen höheren Weihen. Er komponiert, und die Göttin ist bereit, ihn zum Gott zu machen. Dazu muss er allerdings an ihrer warmen Brust verweilen. Doch der Künstler ist der holden Wunder müde, er sucht die Freiheit, das wahre Leben und das echte Leiden – die eigene Endlichkeit ist darin einkalkuliert. Der Frustrierte will raus aus dem Venusberg.
Sein Stoßseufzer «Zu viel! Zu viel!» rekurriert in David Hermanns Lyoneser Inszenierung indes nicht auf die multiplen Möglichkeiten der sexuellen Befriedigung im Reich der Venus. Denn die Göttin und ihre Assistentinnen sind gar keine Damen aus Fleisch und Blut. Es sind digital generierte, etwas staksige Maschinen der Lust, die echten Frauen nur täuschend ähnlichsehen. Tannhäuser tummelt sich in der Welt von Avataren. Der Venusberg als Virtual Reality – das ist hübsch erdacht, übersetzt es doch die Vision des 19. Jahrhunderts jener «Paradis artificiels» in unsere Gegenwart, wie es der frühe Vertreter der Moderne und dichtende Wagnerianer ...
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Opernwelt 12 2022
Rubrik: Panorama, Seite 52
von Peter Krause
Zwei Menschen: Sie, eine junge slowakische Jüdin, die 1942 mit dem ersten Frauentransport nach Auschwitz kommt; er, gleichaltrig und ein Aufseher, ein glühender Antisemit, der sich mit 17 freiwillig zur SS gemeldet hatte und als besonders brutal gilt. Sie muss ihm zum 21. Geburtstag ein Ständchen bringen – er verliebt sich in sie. Er rettet ihrer Schwester das...
An Ressentiments herrscht in diesem 1814 an der Mailänder Scala aus der Taufe gehobenen Werk wirklich kein Mangel: Rossinis «Il turco in Italia». Der Sultan ist ein zwar charmanter, aber unerbittlicher Despot; die vermeintlich untreue Geliebte hat er bereits zum Tod verurteilt und Frauen, derer er überdrüssig wurde, flugs verkauft. Italienerinnen wiederum haben es...
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