Zu viel versprochen
Glaubt man seinem Biografen Francesco Caffi, war Ferdinando Bertoni (1725–1813) ein sanftmütiger Mann. Angesichts der vollmundigen Ankündigung – «die erste vollständige, historisch-kritische Aufführung des Werkes in neuerer Zeit» –, mit der das Teatro Comunale im oberitalienischen Ferrara Bertonis Opern-Dreiakter «Orfeo» von 1776 bewarb, hätte der Komponist vielleicht aber doch die Beherrschung verloren.
Was die «Vollständigkeit» anbelangt: Ganze sechs Nummern wurden bei dieser konzertanten Produktion aus den ersten beiden Akten herausgestrichen, die Spieldauer mithin auf 75 Minuten eingedampft. Unwesentlich länger also als die von Claudio Scimone 1990 für die Sopranistin Cecilia Gasdia ausgeheckte «modernisierte» 65-minütige Version; und empfindlich kürzer als die rund 90 Minuten, die die komplette Aufführung gedauert hätte (wie man der kurz nach der Uraufführung in Venedig gedruckten «Orfeo»-Partitur entnehmen kann). Und die Aufführungspraxis? In Anbetracht des Verzichts auf den vorgesehenen zweiten Cembalisten, das eintönige staccato der Menuette oder die undiffenziert hämmernden Dreier-Takte kann von einer «historisch-kritischen» Aufführung denn doch nur bedingt die Rede sein.
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Opernwelt April 2014
Rubrik: Magazin, Seite 77
von Carlo Vitali
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