Sympathie mit dem Tode

Stephan Mösch über Patrice Chéreaus und Daniel Barenboims«Tristan»-Deutung an der Mailänder Scala

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Der erste Körperkontakt ist spielerisch und zynisch zugleich. Isolde greift nach Tris­tans Hand. Sie zieht diese Hand förmlich aus dem Ärmel ihres geliebten Todfeindes. Sie tut so, als wäre es umgekehrt, als hätte Tristan nach ihr gegriffen. Sie spielt, Hand in Hand, eine Szene, die in Kürze stattfinden wird: Tristan führt Isolde ihrem künftigen Ehemann zu, dem alten König Marke. Abscheu und Angst, die Isolde mit dieser Begegnung verbindet, all das spricht ihr Körper aus. Und doch ist diese Szene noch etwas ganz anderes: ein verzweifelter An­näherungsversuch.


Es wird noch dauern, bis sich die Körper finden. Nachdem Isolde und Tris­tan ausgesprochen haben, was sie trennt, nachdem der Trank, der zum Tod führen soll, geschluckt ist, stehen sie weit voneinander entfernt. Sie warten, Schweiß auf der Stirn. Sie umkreisen sich wie lauernde Tiere, Isolde immer den ersten Schritt machend, das Tempo vorgebend. Der innere Druck wächst Takt für Takt. Jedem könnte jetzt der Kreislauf wegkippen oder buchstäblich das Herz stillstehen. Irgendwann, nach endlosem Schweigen, Starren, Mauern, knickt Tristan zusammen. Er fällt nieder, küsst den Saum ihres Kleides. Eine Rittergeste. Eine Unterwerfung. ...

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Opernwelt Februar 2008
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Stephan Mösch

Vergriffen
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