Scham und Schändung

Puccini: Tosca
BRÜSSEL| THÉÂTRE DE LA MONNAIE

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Zwangsherrschaft à la Scarpia ist ohne kirchlichen Segen nicht denkbar, die unheilvolle Allianz von politischer und religiöser Unterdrückung mündet geradewegs in eine mit sexuellen Obsessionen angefüllte Folterkammer – wie jenen kurzlebigen faschistischen Reststaat von Salò, den wir aus Pier Paolo Pasolinis Film «Die 120 Tage von Sodom» kennen.

Das jedenfalls ist die Matrix, auf der Regisseur Rafael R. Villalobos Puccinis berühmteste Oper ansiedelt.

Künstlerattitüde und unreflektierten Kinderglauben an Kirche und Staat zunächst noch mühelos miteinander vereinbarend, stürzen für die von Scarpia Drangsalierten die institutionellen Lügengebäude geistlicher und weltlicher Herrschaft bald in sich zusammen. Entsetzt realisiert Tosca, wie sich die Vertreter von Klerus und staatlichem Repressionsapparat mit Rollenspielen vergnügen, bei denen Ministranten als Lustknaben herhalten müssen und ausgesuchte Torturen die sexuelle Gier der Täter stimulieren. Auch der Tyrann befriedigt sein sadomasochistisches Verlangen mittels Folter und Erpressung. Wenn er die Diva zur Domina umzufunktionieren sucht und diese die Gelegenheit beim Schopf packt, um ihren Peiniger zu erstechen, ist das nur die ...

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Opernwelt August 2021
Rubrik: Panorama, Seite 37
von Michael Kaminski

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