Produktive Distanz

Pierre Boulez zum Neunzigsten, Dieter Schnebel zum Fünfundachtzigsten – eine musiktheatralische Spurensuche

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War da was? Die Furie des Verschwindens, diesmal im Auftrag des Kobolds Postmoderne, hat die einst so mächtig scheinenden Phänomene der um den Serialismus kreisenden musikalischen Avantgarde verdeckt, verschüttet, ja nahezu schon die Erinnerung daran gelöscht.

Wem bedeuten Schnitte ins Opernbewusstsein wie Henri Pousseurs «Votre Faust» (Piccola Scala Mailand 1969) oder Pierre Henrys «Kyldex I» (Staatsoper Hamburg 1973) noch etwas? Hier ging es nicht nur um die radikale Abkehr von Erzähl- und Literaturoper, sondern um rabiate Form-Destruktion, nicht zuletzt durch den Versuch, das Publikum «interaktiv» einzubeziehen. Achtungserfolge ernteten Anti-Opern-Konzepte wie Mauricio Kagels «Staatstheater» und John Cages «Europeras». Die Position der geglückten Synthese von Werkzertrümmerung und Großwerk, narrativem und nichtnarrativem Theater, vertrat einsam Helmut Lachenmanns «Mädchen mit den Schwefelhölzern» (Hamburg 1997). Seit 1960 («Intolleranza») tasteten sich auch Avantgardisten wie Luigi Nono, Luciano Berio, György Ligeti wieder an kompakte Operndramaturgien (und Opernhäuser) heran. Und irgendwo im Hintergrund dräute und dräut noch die Herausforderung eines megaloman-inkommensurablen ...

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Opernwelt März 2015
Rubrik: Magazin, Seite 78
von Hans-Klaus Jungheinrich

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