Orakel im Parkett
Nicht wenige Inszenierungen haben aus «Idomeneo» – mit wechselndem Erfolg – eine Art «Götterdämmerung» gemacht. Doch die behält sich Vera Nemirova für das kommende Jahr zum Abschluss ihrer «Ring»-Deutung in Frankfurt vor. Im nahe gelegenen Mainz hat sie Mozarts Dramma per musica auf menschliches Maß gebracht: Der traumatisierte Kriegsheimkehrer erlebt tiefgreifende, sehr persönliche Konflikte, für die es keiner göttlichen Weisung per Orakelspruch bedarf.
Dieser erfolgt nicht unsichtbar, durch die Stimme eines Deus ex Machina, der das Leben des Idamante rettet, ihm Macht und die Hand der Ilia schenkt: In Mainz sitzt ein Sänger unbemerkt im Parkett, springt auf und weist das Geschehen in die richtigen Bahnen. Das kann allerhand bedeuten, zum Beispiel eine Demokratisierung der Beziehungen zwischen Göttern und Menschen: Verkörperte die Seria einst das himmlische und irdische Machtgefüge zur Huldigung der Herrscher, sitzt heute eben der neue Souverän im Theater.
Der Schluss ist gebrochen: Die tote Elettra steht wieder auf, die Sänger beglückwünschen sich gegenseitig, der Kollege aus dem Publikum kommt auf die Bühne. Es ist ein eindrückliches Fragezeichen, das hier mit einiger ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt August 2011
Rubrik: Panorama, Seite 40
von Claus Ambrosius
Wagner-Opern als Freilichtaufführungen sind selten, denn die Musik verliert dabei fast immer. Wo elektronisch verstärkt und übertragen wird, gehen nicht nur Unmengen an Feinheiten flöten, sondern auch das räumliche Hören. Umgekehrt werden Fehler und Schwächen gnadenlos offengelegt. Trotzdem war «Rienzi» beim Meininger Theatersommer schon deshalb ein Erlebnis, weil...
An Ausgrabungen auf dem Gebiet der romantischen Belcanto-Oper hat es in den letzten Jahrzehnten wahrlich nicht gefehlt. Keine der etwa 80 Opern Gaetano Donizettis ist gänzlich unbeachtet geblieben, Saverio Mercadante und Giovanni Pacini sind heute jedem ernsthaften Opernfreund ein Begriff und zahlreiche vorher namenlose Kleinmeister wieder ins Gedächtnis...
Der Vorgang ist von bezwingender Wirkung. Er ereignet sich im vierten Akt, der am Vorabend der «Bartholomäusnacht» spielt. Zehntausende Protestanten (= Hugenotten) fielen 1572 einem vom katholischen Königshaus gesteuerten Mordkomplott zum Opfer. Wenn der versammelte Pariser Mob – von fanatischen Mönchen auf die Bluttat als «heilige Sache» eingeschworen – in der...