«Man muss das Tragische anerkennen»

Prinzendorf an der Zaya, Niederösterreich, ein Schloss aus dem 18. Jahrhundert. Seit 1971 lebt hier der Aktionskünstler Hermann Nitsch und veranstaltet regelmäßig sein «Orgien Mysterien Theater». Der 82-Jährige, der sich als Gesamtkunstwerker begreift, wird bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen eine Aktion zu Wagners «Walküre» gestalten. Ein Gespräch über die Faszination des Schreis, Synästhesie und den Tod

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Herr Nitsch, es sind immer wieder Parallelen gezogen worden zwischen dem Werk Richard Wagners und Ihrer eigenen Aktionskunst: beispielsweise die Verschmelzung mehrere Kunstformen, die Mehrtägigkeit der Aufführungen wie beim «Ring», die Faszination für die griechische Tragödie, für Ritual und Mythos. Wie würden Sie selbst Ihr Verhältnis zu Wagner beschreiben?  
Wagner ist schon eine Leitfigur für mich, auch wenn ich mich nicht als Wagnerianer bezeichnen würde. Ich liebe seine Musik, aber ich liebe andere Musik auch.

Eigentlich wollte ich immer ein Ur-Drama schreiben, das über die griechische Tragödie, Shakespeare, auch über Wagner hinausgeht – mindestens was die Dimensionen anlangt. Meine demütigste Verehrung Wagners stellt das nicht infrage, in der Kunst gibt es meiner Meinung nach sowieso kein Ranking. Nachdem ich reale Geschehnisse inszeniere, ist das Gesamtkunstwerk automatisch gegeben, weil ein reales Geschehnis über alle fünf Sinne erfahren wird. Da muss man sie nicht mühsam addieren, Wort und Musik und so weiter. Wenn man ein Tier ausweidet, haben Sie alles: Riechen Sie, sehen Sie das Blut, die Gedärme, Sie hören, zumal bei mir immer auch Musik dabei ist. Alle Sinne werden ...

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Opernwelt Juli 2021
Rubrik: Interview, Seite 44
von Michael Stallknecht

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