Liebeserklärung
Ein «symphonisches Drama» hat Satie seine 30-minütige Kantate über die letzten Tage des Sokrates genannt. Man kann diesen Wink nur als Witz verstehen, als sarkastischen Seitenhieb auf Berlioz und seine Programmsinfonik. Denn das 1917 und 1918, zur Hochzeit des dadaistischen Sturms auf die bürgerliche Hochkultur, im Auftrag einer lesbischen Prinzessin entstandene Werk bietet weder bühnentaugliche Aktion – die Texte stammen von Plato – noch knallige Klangbilder.
«Weiß» sollen die drei Teile des Ganzen («Portrait de Socrate», «Les bords de l’Ilissus», «Mort de Socrate») tönen, erklärte Satie, kühl glänzen wie Glas. Kaum mehr als einen fragilen Stützapparat hatte er für das begleitende Orchester bzw. Klavier geschrieben, sparsam gesetzte Akkordfolgen in Wiederholungsschleife, schleichende Ostinati voller hohler Quarten, Quinten und Oktaven. Platonisch verbrämte Langeweile?
Keineswegs. Jedenfalls nicht, wenn das sperrige Werk so luzide musiziert wird wie von der Sopranistin Barbara Hannigan und Reinbert de Leeuw am Flügel. Sie schaffen es, die hier gebotene nüchterne clarté mit Ausdruck zu verbinden, ohne den störrisch-spartanischen Geist der Musik zu verraten. Dynamische Kontraste ...
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Opernwelt Mai 2016
Rubrik: Hören, Sehen, Lesen, Seite 32
von Albrecht Thiemann
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