Krieg und (kein) Frieden
Erinnerungen – manchmal sind sie so federleicht wie ein Schmetterling, manchmal tückisch wie ein Hinterhalt. Und nicht selten schleichen die Boten des Unbewussten, denen Marcel Proust in seinem epischen Roman «A la recherche du temps perdu» das vielleicht beeindruckendste literarische Denkmal gesetzt hat, weil er sie zur Kunstform selbst stilisierte, so heimlich, still und leise durch die Türen, dass man kaum anders kann als zu erschrecken, wenn sie plötzlich, maliziös grinsend, vor einem stehen.
Don Alvaro geschieht dies zu Beginn des Italien-Akts von Verdis «La forza del destino». Gerade haben hinter der Szene betrunkene Spieler ausgelassen und zynisch die Grausamkeit des Schicksals bespöttelt, da wird er überwältigt – zunächst von einem kleinen Klarinettenkonzert, dessen ätherisch anmutiges Thema nie wieder aus seinem Gedächtnis verschwinden wird, sodann von seinen eigenen Gefühlen. Und die sind alles andere als lieblich: «La vita è inferno all’infelice», singt Alvaro im Allegro- Rezitativ, um im darauffolgenden Allegro moderato über schwer atmenden, meist mollgetrübten Dreiklängen der Fagotte, die tieftraurige Geschichte seiner Eltern zu erzählen, bis es schließlich, die ...
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Opernwelt Januar 2025
Rubrik: Im Focus, Seite 22
von Jürgen Otten
Als die deutsche Armee im Juni 1940 in Paris einmarschierte, protokollierte Marcel Jouhandeau, sein Leben sei nie so tragisch gewesen wie an jenem Tag. Doch die Einschätzung des schwulen katholischen Romanciers, der 1933 einer Versammlung der kommunistischen Partei beiwohnte und André Gide applaudierte, wandelte sich zusehends. Zur Veröffentlichung der...
Orpheus, der Ursänger, erhob seine Stimme, um Tiere und Götter zu besänftigen. Und Magdalena Kožená? Fast flehentlich richtet sich ihr Blick zum Himmel über Prag. Sie selbst, so zumindest suggeriert es das Cover ihres neuen Albums, scheint über den Häusern der tschechischen Hauptstadt zu schweben, in der sich einst das Hauptquartier des Lärms befand, um die...
Im «Idomeneo» messe Mozart in einer «der aufregendsten Partituren des 18. Jahrhunderts (…) die Extreme menschlicher Emotionen aus», liest man im Editorial des Programmhefts der Stuttgarter Neuinszenierung. Auf der Bühne allerdings ist von diesem radikalen Gesellschaftsentwurf und seinen aufklärerisch-dialektischen Energien nichts zu sehen. Es herrscht bleierne...