Im Schüttkasten der Lebensirrnis
«Tannhäuser» strotzt von Melodien, die im Ohr haften, von wirkungssicher aufgebauten Chorälen, von einer Hymnik, die Jauchzen und Verzweiflung gleichermaßen umfasst. Er lebt, wie Carl Dahlhaus einmal schrieb, von «tönender Rhetorik». Man könnte auch sagen: Das Stück ist geradezu unverschämt auf Erfolg hin komponiert – und ohne Zweifel Wagners beliebteste Oper. «Tannhäuser» ist aber auch heikel, dramaturgisch verwirrend, ein Patchwork der Stoffe und Stile.
Noch kein Musikdrama, noch keine Kunst des Übergangs, aber schon Bilder, deren mythisch-archaische Deutungsoffenheit das Theater herausfordern, mögen sie gedanklich auch am Mittelalter kleben. Das betrifft vor allem die erste und die letzte Szene.
Wo spielt der «Venusberg», sofern man ihn nicht an nacktes Fleisch und pseudo-erotische Verrenkungen delegiert? Wie umgehen mit dem wuchtigen Chorfinale, in dem das Sterben von Elisabeth und Tannhäuser übereinandergeblendet wird, Ewigkeit und Heilsverkündung in breitem Es-Dur auftrumpfen, Gnade und Erlösung affirmativ beschworen werden? Der Hörer sinkt zwangsweise ermattet zurück und fühlt doch seine Hände zum Applaus hochgerissen. Was macht der Regisseur?
Romeo Castellucci hat an der ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt Jahrbuch 2017
Rubrik: Bilanz, Seite 124
von Stephan Mösch
Das macht ihm vermutlich keiner nach – sowohl in Shakespeares Tragödie als auch in der «Lear»-Oper von Aribert Reimann den gebrochenen König zu verkörpern. Für Franz Mazura war das kein Problem. Seit über 60 Jahren ist der schauspielbegeisterte Bassbariton auf allen Brettern dieser Welt zu Hause. Und solange Körper
und Stimme mitspielen, wird Mazura auch weiterhin...
Sie kann in wenigen Tönen das vollständige Psychogramm eines Charakters zeichnen. Schmerzhaft schön, bestürzend klar. Ob an der Bayerischen Staatsoper als Maddalena in Giordanos «Andrea Chénier» und als Elisabeth in «Tannhäuser» oder als Sieglinde in der «Walküre» der Salzburger Osterfestspiele. Anja Harteros ist eine Künstlerin, die mit der Stimme Figuren neu zu...
Die Klage über den Niedergang dramatischer Stimmen ist nicht neu, so wenig wie das Hohe Lied auf die Heroinen und Heroen der Vergangenheit. Eine Birgit Nilsson, ein Jon Vickers und ihresgleichen sind offenbar heute weit und breit nicht in Sicht. Dafür umso mehr Sänger, die – aus eigenem Antrieb oder vom Betrieb gedrängt – Raubbau am eigenen Material treiben....
