Glanz im Elend
Auf Mark Wigglesworths Pult liegt John Tyrrells 2017 erschienene kritische Neuedition von Janáčeks letzter Oper «Aus einem Totenhaus». In der Ouvertüre schlagen die hohen Violinen weniger nervös aus als etwa bei Charles Mackerras: Wigglesworth scheint darauf bedacht, das beinahe kammermusikalisch agierende Orchester bewusst dicht zu führen, um den von Janáček in die Extreme gesetzten Klängen Halt zu geben.
Unterdessen kritisiert ein paar Meter weiter oben der Philosoph Michel Foucault das Justizwesen (untertitelte Videos leiten jeden Akt ein), ehe der Blick auf eine Knastturnhalle freigegeben wird. Krzysztof Warlikowski und seine Ausstatterin Małgorzata Szczęśniak siedeln Janáčeks Gulag-Stück in einem Gefängnis an, «wie wir es heute in der Türkei, Brasilien, Mexiko und jeder der westlichen Demokratien finden können». Was keineswegs bedeutet, dass der Regisseur bei jeder Gelegenheit die Macht der Wärter herausstreicht. Selbst die Ankunft Alexander Petrowitsch Gorjantschikovs – um den Aufnahmetrakt zu zeigen, fährt eine verglaste Box auf die Bühne –, bei der der gebeugte Mann brutal zusammengeschlagen wird, bleibt ein Ereignis am Rande, das hinter die Händel der übrigen Insassen ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt Mai 2018
Rubrik: Im Focus, Seite 10
von Wiebke Roloff
In Zeiten entrüstungsgesteuerter Moraldebatten sind auch Klassiker nicht mehr vor als politisch korrekt etikettierten Zurichtungen sicher. Der junge Regisseur Martin G. Berger hat sich in Heidelberg Charles Gounods «Faust» vorgenommen und die Titelfigur als übergriffigen Macho enttarnt, der sich im Stil solcher machtbesessenen Erotomanen wie Weinstein oder Wedel...
Schon das erste Bild fasziniert in seiner suggestiven Erzählkraft: Das vielfach verflochtene Schicksalsseil der Nornen hängt, den gesamten Hintergrund ausfüllend, in zwei riesigen Knoten aus dem Schnürboden herab. Ein gelungener Entwurf der für das Bühnenbild zuständigen japanischen Installations- und Performancekünstlerin Chiharu Shiota – klar in der Optik,...
Die kunstvollen, teils kontrapunktischen Arien, die Ouvertüre und den Schlusschor gab es bereits – erstmals 1727 waren sie in London erklungen, bei der Uraufführung von Händels «Riccardo primo, Re d’Inghilterra» auf ein Libretto von Paolo Antonio Rolli. Als Telemann einen Druck der Gesangsnummern aus «Riccardo» erhielt, erschien ihm eine Aufführung in Hamburg...
