Geschändet

Lydia Steier zeigt in ihrer Pariser «Salome»-Inszenierung die Abgründe einer übersexualisierten und verwahrlosten Gesellschaft, Elza van den Heever feiert in der Titelrolle einen Triumph

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Der Mond über Judäa, er leuchtet nicht. Nicht mal ein Blinzeln ringt er sich ab. Aber wie auch? Das Reich des Herodes liegt in einer hässlichen Unterweltstadt, am Rand der Zivilisation. Der Tetrarch herrscht in diesem Sündenpfuhl wie sein mythischer Vorfahre Pluton, allerdings mit dem Unterschied, dass nicht die Totengeister um ihn herumkriechen, sondern skurril kostümierte Menschenmonster – Abschaum einer Gesellschaft, deren größte Vergnügungen Vergewaltigung, Folterung und Mord sind.

Noch während der schwerverliebte und -bewaffnete, in einer schwarzen Kampfmontur steckende Narraboth (Tansel Akzeybek) mit glühender Emphase die Schönheit der Prinzessin Salome besingt, werden blutverschmierte, nackte (Puppen-)Leichen aus dem (durch eine Fensterfront begrenzten, in die massiven Quader hineingeschlagenen) Partyraum heraus und eine eiserne Treppe hinab auf ein felsiges Quadrat getragen, wo sie ein dreiköpfiges, in polyesterdicke gelbe Sicherheitsanzüge gewandetes Entsorgungskommando in Empfang nimmt und in eine Grube schüttet. Humanabfall, mit einem Pulver bestreut, das den abscheulichen Verwesungsgeruch zumindest partiell eindämmen soll. Lydia Steier begnügt sich bei ihrem Debüt an ...

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Opernwelt 12 2022
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Jürgen Otten

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