Entzauberte Macht

Oldenburg: Verdi: Aida

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Ach, Aida, wie siehst du nur aus! So ruft unsere innere Stimme, als Gweneth-Ann Jeffers die Bühne betritt, mit einer Ledermappe in der Hand und müder Miene, in miserabel sitzender Kniehose und Oma-Gerda-aus-Pusemuckel-Bluse. Eine Sklavin ist sie nicht, die äthiopische Königstochter, aber eben auch keine Königstochter mehr. So wie Amonasro, ihr auch vokal grobschlächtiger Vater (Peteris Eglitis), kein König und der König von Ägypten auch nur ein Abziehbild von einem Minister von heute ist.

Nein, diese Aida ist eine gewöhnliche (als Sängerin zwar expressive, doch mit der Intonation kämpfende) Fremde, die es in ein Land verschlagen hat, das von zwei Seelenzuständen beherrscht wird: der Bürgerseele und der Soldatenseele. Dieses Land könnte überall sein, es ist Metapher für den Zustand einer moralisch verlotterten Gesellschaft, die zu wissen meint, was richtig für andere ist. Man gibt sich also Mühe, die Gefangenen, die der stimmlich solide Feldherr Radames (Alexej Kosarev) nach blutigem Gefecht anschleppt und die ein bisschen aussehen wie eine Gruppe verirrter Esoteriker, zu guten, will sagen: angepassten Menschen zu machen. Man zeigt ihnen, wann man über eine Straße geht (wenn die ...

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Opernwelt Mai 2011
Rubrik: Panorama, Seite 47
von Jürgen Otten

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