Dead Jean Walking
Die erstaunlichste Erkenntnis beim Braunschweiger «Propheten» (wieder einmal): Die großen Opern Giacomo Meyerbeers sind zu machen, auch an Stadttheatern. Die Chorszenen packen unmittelbar. Die Partitur ist reich an Ohrwürmern. Nach 90 Minuten, sprich: nach dem dritten Akt, geht das in der zweiten Vorstellung nicht übermäßig zahlreiche Publikum den Triumphmarsch summend in die Pause. Die Gespräche drehen sich um die «herrlichen Melodien» dieses unbegreiflicherweise selten gespielten Stücks. Nach weiteren 75 Minuten, also nach dem fünften Akt, wird rhythmisch geklatscht.
An der Garderobe hört man Jeans Trinklied. Im Gästebuch bedankt sich manch ein Besucher für die «wunderbare Aufführung».
Die Grand opéra muss nicht auf große Oper machen, um zu funktionieren. «Le Prophète» entpuppt sich als Kammerspiel mit Chören (was man bei «Aida» längst entdeckt hat). Meyerbeers Anti-«Parsifal», der den Welterlöser als Demagogen entlarvt und dort anfängt, wo Wagner aufhört, indem er zeigt, was nach der Gründung einer Sekte alles schieflaufen kann, ist modernen Regiehandschriften nicht nur zugänglich, sondern ein gefundenes Fressen für sie. Wo kann man sonst so präzise und packend erleben, wie ein ...
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Opernwelt Dezember 2014
Rubrik: Im Focus, Seite 18
von Boris Kehrmann & Stephan Mösch
Alfredo Catalanis 1892 an der Scala uraufgeführte Oper «La Wally» ist auf deutschen Bühnen selten zu erleben – zu Unrecht, wie die Mannheimer Aufführung beweist. Die Handlung mutet zwar auf den ersten Blick konventionell an, aber der wie Puccini aus Lucca stammende, früh verstorbene Catalani und sein Librettist Luigi Illica geben der Dreiecksgeschichte einer Frau...
Sie haben es wieder getan. Kammermusiktheater gemacht, im Weißraum zwischen Konzert und Oper, Sprechen und Gesang, Scherz, Satire und tieferer Bedeutung. Lustvoll flanieren die Neuen Vocalsolisten Stuttgart durch die entgrenzten Klangkunstlandschaften der Gegenwart. Immer auf der Suche nach unbekannten Lautgewächsen. Nach nie gehörten Tonblüten. Wann immer das...
Wer nach unerhörten Klängen, nach progressiven Techniken sucht, wird in «Anna Karenina» nicht fündig werden: Thomas Kürstners und Patrick Vogels Partitur für das Bremer Theater fällt in jene Kategorie von Neuschöpfungen, in denen aus der vollen Vorratskammer der jüngeren Musikgeschichte alles Mögliche zusammengeworfen wird. Janácek und Schostakowitsch, Britten und...