Wien Schauspielhaus
Gedanken lesen können nur Wahrsager. Allen anderen bleibt die Literatur, wo sich der innere Monolog großer Beliebtheit erfreut. Der Wiener Autor Xaver Bayer (geb. 1977) etwa begibt sich in seiner 120-Seiten-Erzählung «Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen» (2011) für ein paar Stunden in den Kopf seines Protagonisten und zeichnet in einem einzigen langen Satz dessen Gedankenstrom auf.
Der Erzähler ist Fotograf, und er hat sich von seiner Freundin getrennt. Das ist alles, was wir von ihm erfahren.
Ort der Handlung ist der Transitbereich des Brüsseler Flughafens, wo der vielgereiste Mann ein paar Stunden Wartezeit überbrücken muss. Er trinkt ein Bier, erwirbt im Duty-free-Shop lustlos einen japanischen Whisky und inspiziert sämtliche konfessionellen Abteilungen des Airport-Andachtsbereichs.
Dass er ein guter Beobachter ist, gehört zum Handwerk des Fotografen; sein Problem ist, dass er zugleich stets auch sich selbst bespiegelt. Die «Masse an Eindrücken, die sich in wenigen Augenblicken ins Unüberschaubare ausdehnen», macht dem hypersensiblen Flaneur – er wirkt fast wie eine Parodie auf den Beobachtungsfetischisten Peter Handke – zu schaffen.
Um sich gegen die Zumutungen der ...
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Theater heute Mai 2012
Rubrik: Chronik, Seite 62
von Wolfgang Kralicek
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Zuletzt arbeitete er (ein skrupulöser, ungemein selbstkritischer Autor) an einem Essay, einem Buch über Shakespeares Shylock, wollte, sagte er, den Blick aber auch auf die Titelfigur, Antonio, den Kaufmann von Venedig, lenken: den liebenden Homosexuellen. Denn Ivan Nagel war beides, ein ungläubiger Jude und homosexuell.
Geboren am 28. Juni 1931 in Budapest,...
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