Stimmen im Kopf

Arad Dabiri im Gespräch über sein Stück «DRUCK!» – und darüber, was Österreich ihm gegeben hat

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Franz Wille Sie sind 1997 in Wien geboren, nach eigener Aussage «sehr behütet in einer Doppelhaushälfte» aufgewachsen, haben iranischstämmige Eltern und werden postmigrantisch gelesen. In Österreich, aber auch in Deutschland gab es in den letzten Jahren einen deutlichen Rechtsruck mit Wahlerfolgen der FPÖ und der AfD.

Merkt man davon etwas im Alltag, auf der Straße? 
Arad Dabiri Ich kann nur für Österreich sprechen: Letztlich ist mir vieles davon erst sehr spät aufgefallen, in meinen frühen Zwanzigern, aber auch, weil es für mich einfach schon immer so war: Bemerkungen in der Nachbarschaft, von Lehrern oder Mitschülern, Blicke in der Straßenbahn. Es gibt immer etwas. Und jetzt aktuell fällt vielen so etwas leichter, viele fühlen sich in solchen Äußerungen bestärkt wie letzte Woche, wenn mich jemand als Beispiel nimmt, weil ich auf der Kreuzung zu Fuß überholt habe: «Schau, es sind einfach zu viele.» Aber in Österreich war das nie weg, und wenn man sich in Deutschland jetzt über die AfD wundert: Bei uns gab es keinen Rechtsruck, sondern Rechts war immer «normal», öffentlich und sichtbar, zumindest seit ich mich erinnern kann. Fascho-Werbeplakate am Weg zur Schule waren einfach immer da. Diese Formen von Feindbildern und (Alltags-)Diskriminierung waren schon immer salonfähig. Man muss nur an die Schlingensief-Aktion «Ausländer raus!» vor der Staatsoper 2000 denken. Das war ja eine Reaktion auf die erschütternde Regierungsbeteiligung der FPÖ unter Haider. Das war vor 25 Jahren. Natürlich wäre es ein schlimmes Novum gewesen, wenn ein Herbert Kickl Bundeskanzler geworden wäre, aber sein Scheitern war auch nur knapp. Einerseits ist es heute also same same, andererseits sitzen die feindseligen Sprüche doch lockerer. Und ich stelle an mir selber fest, dass ich zurückhaltender werde. Nach den Wahlen reden die Leute überall über Politik, und ich halte mich eher zurück, weil ich gar nicht so genau wissen will im Café, ob das jetzt ein Tisch ist, der so oder anders tickt. Ich lebe schon immer in Wien, aber am Wahlabend im Bus habe ich mich zum ersten Mal sehr komisch gefühlt und mich gefragt: Wer von euch war’s?

FW Die Hauptpersonen in «DRUCK!» sind vier Jungs in den Zwanzigern, nicht mehr ganz jung, meist postmigrantisch, als Schüler haben sie ein bisschen gedealt und im Park auf der Bank abgehangen. Ihre WhatsApp-Gruppe heißt «Straßenköter». Wie gut kennen Sie diese Welt? 
Dabiri Ich bin im 22. Bezirk aufgewachsen, dort ist es tatsächlich sehr ruhig und geordnet, aber meine Schule war eine Stunde entfernt in der Stadt, und dort sahen sehr viele aus wie ich. Meine Freundeskreise haben viel auf Parkbänken gechillt, ich auch. Manche von denen sitzen noch immer dort. Ich nicht mehr. Ich musste für «DRUCK!» nicht recherchieren. Diese Typen und was sie reden und denken, das kenne ich sehr gut. Du fühlst dich in der Gruppe sicherer, wenn deine Friends aussehen wie du selbst. 

FW Es gibt eine Frau im Stück – Shirin, die Schwester von einem der vier –, die sich ganz entschieden integriert als gute Studentin und Vorzeigemigrantin. Ist das die Lösung? 
Dabiri Alle fünf Stimmen im Stück sind Stimmen, die sich in meinem Kopf abwechseln. Ich finde keine der Haltungen absolut gesund, um damit durchs Leben zu gehen, auch Shirins Haltung nicht. Es gibt Tage, an denen ich mich frage, warum ich mir die ganze Mühe machen soll, den Leuten in der U-Bahn ist doch egal, ob ich studiere. Die sehen eh mein Gesicht und denken sich ihren Teil. Am nächsten Tag beruhige ich mich und sage mir: Du hast es doch gut, lebst in einem sicheren Land, einem Sozialstaat, du kannst dich nicht beklagen. So geht’s hin und her, und wenn die Wut kommt, dann hat sie einen Punkt – aber eben auch nicht. Und die Sätze von Shirin – du musst dich besonders anstrengen, ohne Titel bist du nichts in diesem Land, fast schon Klischees –, kenne ich einfach sehr gut. Sie schwingen immer mit. Sich selbst immer hinterfragen und dann gleich wieder sauer auf sich selbst sein: Warum hinterfrage ich mich? Oder wenn ich in der U-Bahn einen Blick von einer älteren Dame bekomme und dann sofort eine Audionachricht losschicke, damit sie hört, dass ich korrekt deutsch spreche. Zeig allen, dass du kein Problem bist. Und im nächsten Moment der Ärger auf mich über diese Reaktion. Diese Mechanismen und Gedanken hat mir Österreich gegeben, nicht ich mir selbst. Aber Österreich hat mir auch die Möglichkeit gegeben, meine Miete durch meine Texte zu zahlen, das wäre anderswo vielleicht nicht so einfach gegangen. Das könnten beides auch Sätze von Hassan und Shirin sein. Was ist also jetzt die richtige Antwort? 

FW Hassan sagt einmal im Stück: «Egal, was ich mache, wir bleiben immer anders. Und bei Anderssein geht der Alarm so richtig los, und alle haben Angst.» Wie geht man damit um? 
Dabiri Eben – darauf gibt’s für mich keine eindeutige Antwort. 

FW Kleiner Sprung, Sie studieren Literaturwissenschaft. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? 
Dabiri Ich habe 2021 das Studium mit 24 begonnen und auch gleich meinen ersten längeren Text geschrieben. Und dann gings schnell. Ich war auf keiner «Schreibschule» wie in Leipzig oder Hildesheim oder an der Angewandten in Wien, da ist kein erlerntes «Handwerk» dahinter. Ich habe mich selbst reingefuchst und ein Gefühl für meine Sprache entwickelt. 

FW Inzwischen sind zwei Romane erschienen – «DRAMA» und «GLO-RIA!»–, das Stück «DRUCK!» und ein weiteres ist in Arbeit. Ist es ein Unterschied, ob man Prosa oder Stücke und Dialoge schreibt? 
Dabiri Für mich macht den Unterschied, dass der Dialog eine viel komprimiertere Form ist; im besten Fall erzähle ich im Dialog auf kürzerer Strecke mit weniger Text viel mehr als in Prosa. Es ist eine ganz andere Art zu schreiben, und ich liebe beides. Die Arbeit an einem Stück ist für mich extrem anstrengend, aber wenns gelingt, wird viel mehr gesagt. «DRUCK!» klingt vielleicht manchmal wie hingefetzt, aber dahinter stecken 15 bis 20 Überarbeitungen, damit die Figuren auch wirklich mit -einander reden und sich nicht nur erzählen, was gerade passiert. Das gelingt nur in den Überarbeitungen, Schicht für Schicht. Und mit viel «kill your darlings»! Eine Seite streichen, stattdessen bleiben zwei Sätze, in denen alles gesagt wird. Tut manchmal weh, ist aber notwendig. Ich vergesse dann ganz schnell das Gestrichene, damit ich ihm nicht erst nachtrauere. «DRUCK!» war einmal mindestens um die Hälfte länger. 

FW Und wenn man den Text dann zum ersten Mal auf der Bühne erlebt? 
Dabiri Das war eine Premiere für mich! Die Inszenierung in Mannheim finde ich sehr gut und angemessen, aber ich habe lange gebraucht, bis ich die Vorstellung genießen konnte: ein sehr eigenartiges Gefühl, mit dem eigenen Text konfrontiert zu sein. Sehr surreal. 

FW Die Mannheimer Inszenierung hat die postmigrantischen Figuren ebenfalls sehr genau migrantisch lesbar besetzt. Gibt es Vorgaben für Inszenierungen? 
Dabiri Für mich war es bei der Uraufführung ein absolutes Muss. Bei weiteren Inszenierungen fände ich es sehr wünschenswert, aber wenn Bühnen das Stück dann nicht besetzen können, bin ich neugierig auf Lösungen, die sie vorschlagen. Ich kann mir zum Beispiel auch mehrere weiblich gelesene Körper vorstellen, aber es käme wirklich auf die konkreten Vorschläge und Teams an. Man kann mit dem Text sicher auch spielen, aber mit Respekt vor dem Thema.


Theater heute April 2025
Rubrik: Das Stück, Seite 52
von Franz Wille

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