Spielen ohne Fake

Vor ihrem Schauspielstudium war Lucia Kotikova ein Jahr lang unbezahlte Praktikantin in Bochum, als sie den Regisseur Roger Vontobel kennenlernte. Die letzten vier Jahre hat sie in seinem Berner Ensemble gespielt – und das Spiel immer wieder zum Ereignis gemacht

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Mit hochgeschlossenem Trenchcoat stand sie auf der Trittleiter, die nirgendwo andockte, die Hände trotzig in den Manteltaschen, der Mund mit Tape verklebt: Hippolyta im Berner «Sommernachtstraum» Anfang 2022. Eine vergewaltigte Frau. Eine Amazone, die aus der Verwundung Kampfkraft zieht. «Wir Amazonen schneiden ab die Hälfte unsrer Weiblichkeit», sagte sie zu Theseus, den sie als «Tee-Zeuschen» belächelte: «Darum sind wir geübt im Nähen, und wir näh’n nicht nur die eig’ne Brust, wir nähen all die Narben, die ihr schlagt. Du hast zerschlagen die Hippolyta.

Mein neues Ich ist nicht kaputt, sondern vielbrüstiges Gewucher aus dem Schutt.»

Das war eine ungewohnte Hippolyta, in der empowernden Regie von Sabine Auf der Heyde, mit den kommentierenden und zweifelnden Text-Extensions von Kim de l’Horizon, im schuttwuchernden Auftritt von Lucia Kotikova. Nüchtern verband sie den queeren Ökofeminismus Horizons mit Shakespeares Konflikten, motivierte die alte Figur mit neuen Haltungen, unerbittlich, was die eigene performative Position angeht. Sie tat es mit einer herausfordernden Unmittelbarkeit, die auch ihre weiteren Berner Figuren in den kommenden Jahren auszeichnete, das Sennentuntschi ...

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Theater heute Juni 2025
Rubrik: Akteure, Seite 30
von Andreas Klaeui

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