Morbide Familienaufstellung

Hanoch Levin «Dingens» am Schauspiel Frankfurt

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Auf den ersten Blick scheint es dem israelischen Dramatiker Hanoch Levin um die Komödie einer dezent gestörten Familie zu gehen, als er Spielfiguren ins Rennen schickte, die entfernte Verwandte von Becketts existenzialistischen Vergeblichkeitsclowns sein könnten. Das war 1972, Israels Premierministerin hieß Golda Meir, und der Sechstagekrieg, in dessen Verlauf Israel den Gazastreifen, das Westjordanland, Ostjerusalem und die Sinai-Halbinsel besetzt hatte, lag fünf Jahre zurück.

Dass Levin allerdings wesentlich mehr ansprechen wollte als eine morbide Familienaufstellung mit Dada-Potenzial, wird spätestens dann deutlich, wenn ein junger Herr Dingens ins Spiel kommt, der als Untermieter bei der Familie lebt und wohl ein Auge auf die Tochter geworfen hat. Dingens ist nicht nur ein Fremder, der misstrauisch beschnüffelt wird, sondern auch ein mehr oder weniger willfähriges Opfer. Als solches komplettierte er eine Spielanordnung, der es im Kern um Herr-Knecht-Konstellationen in ethnisch diversen Gesellschaften geht – nicht zuletzt in Israel, wo der amtierende Ministerpräsident keine Skrupel hat, in der gerechtfertigten Verfolgung terroristischer Hamas-Mörder und Geiselnehmer skrupellos ...

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Theater heute Juni 2025
Rubrik: Chronik, Seite 58
von Jürgen Berger

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