Sprung in der Erinnerung

Anja Sackarendt über Azar Mortazavi «Ich wünsch mir eins»

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Ein alter Mann und ein Mädchen begegnen sich in einer Bar. George, der sehnsüchtige Trinker, erliegt dem Blick der jungen Leila, der in seinen Augen die andere Seite der Welt erreicht. Die Amour fou nimmt ihren Lauf: Leila will weit weg gehen – und bei ihm liegen bleiben. Sie ist eine Prinzessin für George, die Möglichkeit, neu zu beginnen, aber vor allem der Beweis seiner Erbärmlichkeit. Abrupt wirft George sie aus seiner heruntergekommenen Wohnung, ihre Kleider ihr hinterher.

Zurück in der eigenen Behausung, horcht Leila auf die Schritte der Nachbarn über ihr.

Der kleine Junge und seine teilnahmslose Mutter Sybille sind ihr eigenartig vertraut. Gelegentlich kümmert sie sich um das Kind, ohne zu wissen, dass es ihr Halbbruder ist. Der rastlose Junge erinnert Leila an ihren Vater, seine ferne Herkunft Arabien und an das eigene Fremdsein.

Azar Mortazavis Figuren sind einsame Menschen, deren Sehnsucht immerfort in die Ferne geht. Das Drama «Ich wünsch’ mir eins» gleicht einer Suchbewegung. Die Szenen kreisen um Frauen und Männer, junge und alte, die zwar nicht in einer Situation verharren, diese jedoch leicht ver­schoben wiederholen. Leila läuft George hinterher, bietet ihm ihren ...

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Theater heute Jahrbuch 2012
Rubrik: Die neuen Stücke der Spielzeit, Seite 160
von Anja Sackarendt

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