Schleichender Krankheitsverlauf

nach Thomas Mann «Zauberberg. Positionen am Abgrund»

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Sind wir nicht alle ein bisschen Castorp? Blässlich, kränklich, mittelmäßig?

So jedenfalls sieht es die Regisseu­rin Friederike Heller, die für ihre Version von Thomas Manns «Zauberberg» am Schauspiel Frankfurt das Publikum gleich mitbesetzt hat. Als schweigende Masse darf es dieser Hans Castorp sein, mit dem Mann in seinem Roman den Durchschnitt zum Helden gemacht hat. Und das gefällt den Frankfurtern, denn die frontale Erstversorgung scheint viel versprechend.

Zur Auf­fors­­tung des Vitaminbestandes be­kommt die erste Reihe Orangen gereicht und hält brav das dargebotene Fieberthermometer, schließlich muss nach genau sieben Minuten ein Ergeb­nis her, damit die strenge Frau im weißen Kittel ihre Fieberkurve zeichnen kann.

Zusammen mit dem Dramaturgen Marcel Luxinger hat Heller 1000 Buch­seiten auf 40 Manuskriptseiten und drei Sprecher eingedampft. Die Ge­schich­te um Hans Castorps siebenjäh­riges Versanden in einem bergluftigen Sanatorium haben die Thea­termacher großzügig weggelassen. Was bleibt, ist der Ideenzwist zwischen den Herren Naphta und Settembrini, die Thomas Mann als widerstreitende Mentoren für sein mattes Bürgersöhnchen in den Roman geholt hatte. «Positionen am ...

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Theater heute April 2007
Rubrik: Chronik, Seite 41
von Kristin Becker

Vergriffen
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