Die Zurichtung einer Rasenden

Wenn Theater über Zuwanderungsdebatten nachdenken, fällt ihnen gern Euripides’ «Medea» ein: Eindrücke aus Berlin, München und Wien

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Man kann die Frau nur beneiden: Sie hat es aus ihrer bröckeligen Schwarzmeer-Heimat bis in die mitteleuropäische Hauptstadt geschafft, die neue Villa wurde von abstiegsbedrohten Alteigentümern vermutlich günstig abgelöst, zwei muntere blonde Knaben tollen übers Parkett, im Zimmer steht der neueste Designer-Chic, an der Wand zwei Quadratmeter Plasmascreen, edle Seidenroben umschmeicheln ihren noch sehr ansehnlichen Body, und der gutaussehende Gatte schaufelt Geld wie Dreck. Er hat beste Kontakte im Gasgeschäft, dreht mindestens das mittelgroße Rad.

Außerdem ist der alerte Businessman aus Georgien, die neue Staatsbürgerschaft hat er auch schon arran­giert, auf ordentliche Assimilation bedacht: Keiner, der noch in der Küche den Wodka zu den Blinis kippt, die Kinder sollen zu Hause gefälligst deutsch sprechen und Klavierunterricht gibt’s sowieso.

Frau Medea darf man im Kasino des Wiener Burg­theaters also gratulieren. In der sehr freien Bearbeitung des Mythen-Stoffs von Grzegorz Jarzyna (Buch Michal Walczak) ist sie endlich im Westen angekommen, und zwar auf dem Erste-Klasse-Ticket mit Goldener Kundenkarte. Trotzdem fährt Sylvie Rohrer, als sie in einer ruhigen Minute allein am ...

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Theater heute Februar 2007
Rubrik: Aufführungen, Seite 12
von Franz Wille

Vergriffen
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