Tragödie auf der Couch

Sophokles’ «Antigone» in Berlin und Hamburg: Friederike Heller und Dimiter Gotscheff gehen den alten Konflikt analytisch an

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Die Herren stehen etwas verschüchtert im Halbkreis und blicken freundlich betreten nach allen Seiten. Kein Wunder, schließlich sind die meisten von ihnen zwar bühnenerfahren, aber keine Schauspieler: nämlich die netten Jungs der Hamburger Nette-Jungs-Band Kante. Jetzt dürfen sie in Friederike Hellers «Antigone» zwar ihre Instrumente mitbringen und wie im Probenkeller aufreihen, müssen aber auch noch ganz andere Aufgaben übernehmen.

Frontman Peter Thiessen steht esoterisch grinsend in der Mitte, streicht sich genüsslich die halb­langen Haare hinters Ohr und bittet im süßlichsten Therapeuten-Ton zur Gruppensitzung. Im Selbstfindungskurs werde man jetzt die Ödipusgeschichte nachstellen, raunt er voll ozeanischer Gelassenheit und verteilt gleich ein paar Rollen: «Nimm es an.»

Üblicherweise ist «Antigone» kein Stoff für Männergruppen, sondern eher urfeministisches Beweismaterial: Die sittlich unbeirrbare Ödipus-Tochter bestattet ihren toten Bruder Polyneikes, obwohl der neue Herrscher darauf die Todesstrafe verhängt. Dieser böse Kreon duldet mit seiner politischen Ordnung keinen Widerspruch und treibt alle in den Tod, weil antike wie zeitgenössische Diktatoren ungern ihre ...

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Theater heute April 2011
Rubrik: Aufführungen, Seite 30
von Franz Wille

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