Tanz mit dem Fetisch

Tanz - Logo

Manche Werke sind uns heilig. Sie entzünden die Fantasie, verzaubern das Publikum seit Generationen. So verhält es sich mit «Giselle», von Théophile Gautier zu Papier gebracht, 1842 uraufgeführt. Gautier, ein Pariser Luxus-Dandy und rauschmittelseliger Bonvivant, zählte nicht nur zu den produktivsten Ballettlibrettisten des 19. Jahrhunderts. Vielmehr beschrieb er auch einen klassischen Fall von Fetischismus – lange bevor Kollegen wie Charles Baudelaire, Stéphane Mallarmé oder Joris-Karl Huysmans danach griffen.

In Gautiers Erzählung «La Toison d‘or» (1839, zu Deutsch «Das goldene Vlies») träumt ein junger Mann von blonden Engelslocken. Das Objekt seiner Begierde findet er in Gestalt eines Gemäldes. Auf Peter Paul Rubens‘ «Kreuzabnahme» ergießen sich «Kaskaden aus Gold und Licht» vom Scheitel auf die Schultern der Maria Magdalena. Der junge Mann ist vernarrt in die Figur, in das Bild, das Haar – es wird sein Fetisch. Nebenbei bemerkt: Wie viele Wahnsinnsszenen, wie viele Liebesschwüre wurden seit «Giselle» mit wallendem Langhaar getanzt – Weiblichkeitssymbol, Fetisch schlechthin seit Urzeiten? Isadora Duncan, Maurice Béjart, John Neumeier, Pina Bausch, Akram Khan, Boris Charmatz … ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von tanz? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle tanz-Artikel online lesen
  • Zugang zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von tanz

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Tanz Jahrbuch 2019
Rubrik: Editorial, Seite 8
von Red.

Weitere Beiträge
Hoffnungsträger: Michiel Vandevelde

Michiel Vandevelde hat etwas Unheimliches. Geniehaftes. Er schreibt, kuratiert, gründet Formate, choreografiert. Beim Produktionshaus fABULEUS im belgischen Leeuwen, das Kinder und Jugendliche mit professionellen Theatermachern zusammenbringt, erlebte er sein coming of age. Bei P.A.R.T.S. hat er studiert, in Magazinen und auf Festivals dekliniert er Diskurse. Bis...

Hoffnungsträger: Eric Trottier und Daria Holme

Gibt es einen besseren Ort für die Hoffnung als ein Gotteshaus? Okay, Altar und Taufbecken sind umbaut, die Kirchenbänke stehen auf einer Tribüne, damit man beste Sicht auf den Tanz hat. Willkommen in der Trinitatiskirche in Mannheim, in der nun bereits in der zweiten Spielzeit nicht mehr der christliche Ritus, sondern der Tanz regiert. Tatsächlich ist Eric...

Anne Teresa de Keersmaeker: «Die sechs Brandenburgischen Konzerte»

Anne Teresa De Keersmaeker, Sie haben unlängst in einem Vortrag am Pariser Collège de France Erstaunliches über ihr Verhältnis zur Musik preisgegeben. Sie sagten: «Die Musik war mein erster Partner, ja sogar mein erster Meister.» Ferner betonten Sie, dass Sie nicht nur in einen Dialog mit der Musik treten, «da es sich schließlich um eine Liebesgeschichte handelt»....