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Das Zeitgenössische sprengt die Grenzen. Wie und warum, zeigt Johannes Odenthal

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«Machen = Machtlos» heißt die letzte Choreografie, die Gerhard Bohner am Staatstheater Darmstadt realisiert hat. Bohner hatte sich geweigert, vor dem Ende seiner Zeit als Leiter des Tanztheaters ein weiteres Stück herauszubringen. Was zu einer fristlosen Kündigung führte – mit der Aussicht auf Rücknahme, wenn er innerhalb von vier Wochen ein neues Stück machen würde. Er machte eines, ohne einen einzigen neuen Schritt. Und verteilte am Ende ein Flugblatt, auf dem stand, wie es zu dem Stück gekommen war. Daraufhin erhielt Bohner Hausverbot.

Das war 1975, als der Tanz an den städtischen und staatlichen Theatern in Westdeutschland neue Modelle von Mitbestimmung, künstlerischer Forschung und radikaler Ästhetik versuchte. Der Titel der Produktion reflektierte zugleich die Rahmenbedingungen des zeitgenössischen Tanzes in den Theaterstrukturen, die sich bis heute nicht wirklich verändert haben: Tanz markiert das untere Ende der Hierarchien von Opern-, Orchester- und Theater-Betrieb. Die wenigen Ausnahmen, etwa John Neumeiers Hamburg Ballett, wurden über Jahrzehnte durch das Lebenswerk von Choreografen und Choreografinnen behauptet.

Zeitgenössischer Tanz in den letzten fünfzig Jahren war ...

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Tanz Jahrbuch 2024
Rubrik: Macht, Seite 66
von Johannes Odenthal

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