Claire Cunningham «Songs of the Wayfarer»

London

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Das Tanzfestival Rhein-Main zeigt die Uraufführung von Claire Cunninghams neuem Solostück «Songs of the Wayfarer» im Frankfurter Mousonturm. In ihrer Crip-Choreografie widmet sich Cunningham dem Motiv des Wanderns, inspiriert von Gustav Mahlers «Lieder eines fahrenden Gesellen».

Bevor die Wanderung beginnt, muss die Vorhersage bestimmt werden, von Performerin und Zuschauenden gemeinsam: Mit welchen Konditionen werden wir es zu tun haben? Und sind sich alle Mitwandernden sicher, diesen Weg zu gehen? Charmant, humorvoll und poetisch in das Motiv des Abends eingebettet, liest Bergführerin Cunningham Content Notes von ihrer Wetter- und Wanderkarte ab. Multifunktionsjacke und Wanderschuhe gehören zur Ausstattung, das zu bezwingende Gelände besteht aus einer Leinwand, die als Projektionsfläche für Wanderaufnahmen dient, einem Gebilde aus Gehhilfen, das im richtigen Licht einen Berg im Schatten entstehen lässt, der szenischen Andeutung einer Schneeschicht. Karten sind immer wieder als Projektionen auf den freien Bodenflächen zu sehen. Assoziationen zu Navigation, Verlorengehen, Ausrutschen aber auch dem Kartographieren und Vermessen der Erde aus bestimmter hegemonialer Perspektive tauchen auf und lösen neue Gedanken ab.

Cunninghams Tanz- und Körperpraxis sowie Textpassagen betonen die spürende, fühlende, stützende und manchmal nach einer anderen Hand suchende Haltung der Choreografie zum Wandern als somatische Praxis: das Abtasten des Bodens, das Befragen des Untergrundes danach, wieviel Gewicht auf ihm gelagert werden kann, die Verbindung des Körpers mit den Beschaffenheiten der Umgebung. Auf Terrain, das unbeständig und verwinkelt ist, bewegt es sich mit Gehhilfen weitaus agiler als bloß auf zwei Beinen – die Performerin befindet sich wandernd auf Untergründen, die ihr Vorteile verschaffen. Cunningham demonstriert, dass unsere verbaute Welt Barrieren und Behinderungen für Menschen darstellt, dass niemals vom Defizit eines Körpers auszugehen ist, sondern immer von den Möglichkeiten, die ihm durch seine Umwelt eröffnet werden.

Vier Stücke aus Mahlers Liedersammlung sind Teil des Abends, das zeigt eindrücklich, dass Singen auch kulturgeschichtlich ein großer Teil des Wanderns ist. Was aber, wenn etwas geschieht, das zur Folge hat, dass man die Stimme verliert? Auf berührende Weise nimmt Cunningham einen schließlich mit auf einen ganz persönlichen Weg: den Weg der Trauer um ihren kürzlich verstorbenen Freund und engen Kollegen Jess Curtis. Oft ist er für sie buchstäblich der Boden unter den Füßen gewesen.

Sadler’s Wells, 4. bis 6. Dezember; www.sadlerswells.com


Tanz Dezember 2024
Rubrik: Kalender, Seite 33
von Hannah Meyer-Scharenberg

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