Cindy van Acker «Quiet Light»
Ein Proszeniumsbogen rahmt die von den abgründigen Werken des belgischen Malers und Zeichners Leon Spilliaert inspirierte Bühne beim Festival «Lugano Dance Project». Vor nackter Rückwand, im Licht der unverkleideten Beleuchtungstechnik obliegt es allein zwei Tänzerinnen, mit ihren Körpern Strukturen zu bilden, mit deren Hilfe das Publikum die höhlenartige Landschaft erfassen kann. Fast ohne Blickkontakt nehmen sie akribisch eine Reihe asymmetrischer Positionen ein, die die Räume zwischen ihren Gliedmaßen in den Fokus rücken.
Einmal rotiert eine Tänzerin mit nach vorne gestreckten Armen wiederholt um die eigene Körperachse und evoziert das Bild eines Kompasses, der in schier grenzenloser Leere nach Orientierung sucht.
Durch weite Teile von Cindy van Ackers (tanz 6/24) «Quiet Light» fallen die Schatten der Tänzerinnen auf die Rückwand und lassen dort durch Überschneidungen abstrakte, nichtmenschliche Strukturen entstehen. Zuweilen zersplittern die magischen Silhouetten in komplexe neue Formengefüge, die die Illusion eines ganzen Ensembles von Tänzer*innen erwecken. Sind diese gespenstischen Konfigurationen der Nachhall vergangener Performances? Führen sie uns vor Augen, wie Gebäude Spuren und Abdrücke dessen bewahren, was sich in ihrem Inneren abgespielt hat?
Die karge Bühne, die Geräuschkulisse pfeifenden Windes und die gleichmäßig getaktete Choreografie bedingen, dass «Quiet Light» bald ein wenig monoton anmutet. Doch gerade diese Eintönigkeit hat zur Folge, dass einzelne szenische Beigaben in der zweiten Hälfte umso stärkere Wirkung entfalten. Dichter Rauch flutet die Bühne und scheint die Tänzerinnen ins Zentrum des Raums zu drängen, ein senkrechter weißer Lichtstrahl in der Bühnenmitte bildet interessante Schnittstellen mit den Körpern, die ihn kreuzen. Das Kräfteverhältnis wendet sich: Es sind nicht mehr die Tänzerinnen, die den Raum definieren, sondern dieser choreografiert nunmehr unsere Wahrnehmung der Körper. Hier offenbart sich das interessante Konzept des Stücks: Es gerät zum Ausweis dessen, wie subtile szenische Mittel zu grundlegenden Veränderungen unserer Wahrnehmung von Choreografie führen können.
Aus dem Englischen von Marc Staudacher
Wieder in Genf, Pavillon ADC, 11.–19. Dez.; Lausanne, Vidy, 21.–25. Jan.; www.ciegreffe.org
Tanz Dezember 2024
Rubrik: Kalender, Seite 36
von Emily May
Preiswürdig
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