Fass ohne Boden

Wie mit der Korrespondenz von Komponisten verfahren? Editionsfragen am Beispiel der nun abgeschlossenen Berlioz- und einer neuen Puccini-Brief-Ausgabe

Was wäre unsere Kenntnis der französischen Musikgeschichte ohne den Palazzetto Bru Zane? Die Stiftung der Pharma-Milliardärin ist nun auch für die wichtige Berlioz-Briefausgabe eingesprungen. Eine beeindruckende editorische Leistung findet so beim Verlag Actes Sud zum würdigen Abschluss: Zwischen 1972 und 2003 waren in acht Bänden knapp 4000 Briefe publiziert worden. Mit einem zweiten Supplement-Band liegen nun über 600 weitere vor, angefangen – Ordnung muss sein – mit den Nummern 0 und 0 bis.

Neben ausgewählten Briefen von Dritten (kurzerhand hat man wieder einmal die Kriterien geändert) mehr als 300 von Berlioz selbst – besonders anrührend ein Brief von seinem Sterbebett –, von denen man 2003 noch nichts wusste.

Das zeigt ein grundsätzliches Problem solcher Editionen: Sie sind Fässer ohne Boden, Vollständigkeit ist unerreichbar. Selbst bei einem so gut erforschten Autor wie Goethe tauchen – bei 14 000 bereits publizierten Briefen – im Schnitt jährlich mehr als zehn unbekannte auf.

Einfacher war es nur bei einem «Provinzmusiker» wie Johann Sebastian Bach, dessen nicht einmal 50 überlieferte Briefe (auch wenn das sicher weniger sind, als er tatsächlich geschrieben hat) bequem in ...

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Opernwelt Dezember 2016
Rubrik: Magazin, Seite 78
von Anselm Gerhard

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