Der aufgeklärte Held

Jarrell: Siegfried, nocturne Genf / Comédie

Opernwelt - Logo

Da liegt einer, mit einem Leichentuch zugedeckt. Regt sich, setzt sich auf: Siegfried! Staubig-soldatisches Aussehen: geschorener Schädel, Stiefel, schlammfarbene Hose, der Oberkörper in Verbände gewickelt, im Rücken Blutspuren von der tödlichen Wunde, die Hagen ihm mit dem Speer zugefügt hat. Wiederauferstanden von den Toten. Und man merkt, dass er viel Zeit gehabt hat zum Nachdenken (137 Jahre seit der Uraufführung des «Rings»): Wagners unverbildeter Haudegen ist auf wundersame Weise klug geworden.

In «Siegfried, nocturne», Michael Jarrells und Olivier Pys Beitrag zum Genfer Wagner-Festival, macht er sich in zwölf Sequenzen Gedanken über den Zustand der Welt. Und die Bilanz sieht nicht gut aus, «jetzt, da der Himmel mit Entsetzen auf die Erde blickt» und nichts wieder erkennt. Umweltzerstörung, Kriege, Herrschaft der Maschinen, kulturelle Verarmung: Der einstige Held schaut auf die Welt wie Paul Klees «Angelus Novus», wie Walter Benjamins «Engel der Geschichte». Ein Libretto ohne Furcht vor Nostalgie, aber auch nicht ohne Poesie.

Die Bilder dazu liefern Regisseur Hervé Loichemol und Bühnenbildner Seth Tillett: Monodram im Nirgendwo, Bühne und Ensemble hinter einem schwarzen ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Dezember 2013
Rubrik: Panorama, Seite 37
von Wiebke Roloff

Weitere Beiträge
Ohne Tragik

«Simon Boccanegra» hat lange gebraucht, bis er sich endlich gegen alle Widerstände durchsetzen konnte. Populär ist die düstere, schwermütig-pessimistische Oper auch heute nicht, gehört aber doch seit den 1950er-Jahren unbestritten zum Verdi-Kanon. Schallplattenaufnahmen sind rar, gelungene kann man an einer Hand abzählen. Die konzertante Produktion vom April 2013...

Kein Wunder

Der Mann ist nicht totzukriegen. Eigentlich sollte nur seine Stimme aus dem Sarg ins Diesseits hinübertönen, aber in Yona Kims «Parsifal»-Inszenierung am Staatstheater Braunschweig ist Titurel quicklebendig. Festen Schrittes folgt er seinem wundgeplagten Sohn. Er verpasst Amfortas sogar eine Ohrfeige, als der sich ziert, das Ritual der Gralsenthüllung zu...

Über alle Grenzen hinweg

Die sechs Essays, die Friedrich Dieckmann unter dem Titel «Das Liebesverbot und die Revolution» im Insel Verlag gebündelt hat, sind nicht neu und wurden zwischen 1993 und 2011 erstmals veröffentlicht. Ihren Wert mindert das nicht. Dieckmann ist als Kulturhistoriker ein Essayist im emphatischen Sinn des Wortes: Anschaulich, detailgesättigt, trotzdem skrupulös...