Bittersüß meine Rache

Marc-Antoine Charpentiers «Médée» gerät an der Staatsoper Berlin leider nur in musikalischer Hinsicht zum Ereignis

Opernwelt - Logo

Medea tanzt. Doch nicht im walzerseligen Dreiertakt schwebt die Zauberin über die Bühne. In ihrem heftigen Zucken wohnt der pure Zorn. Aber auch ein bisschen Traurigkeit und Verzweiflung. Denn diese Medea weiß sich (noch) keinen Rat, wie sie da durchs maschendrahtumhüllte Gehege fegt im güldenen Gewand (ist es womöglich mit dem Stoff jenes Goldenen Vlieses durchwirkt, für das sie zuvor mordete?), mit wild hinund herfliegendem Haar.

Vielmehr erinnert sie an den melancholischen Panther, wie ihn einst der Dichter Rilke besang: «Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe / so müd geworden, dass er nichts mehr hält. / Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe / und hinter tausend Stäben keine Welt. / Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, / der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, / in der betäubt ein großer Wille steht.»

Medea ist dieser «große Wille», seit Euripides, der sie als Bühnenfigur erschuf. Und schon bei diesem Dichter gilt sie als jene «Barbarin», von der sich das «zivilisierte» Volk abgrenzen kann, um bloß nicht in ihren Windschatten zu gelangen. Mit Medea muss und will man sich nicht identifizieren, sie steht für das Andere, ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Januar 2024
Rubrik: Im Fokus, Seite 22
von Jürgen Otten

Weitere Beiträge
Der Blick zurück

Der Anlass war es wert: Anlässlich des 20. Jahrestages des Wiederaufbaus des 1996 abgebrannten venezianischen Opernhauses zeigte sich auch Italiens Präsident Sergio Mattarella erstmals bei einer Spielzeiteröffnung im Teatro La Fenice. Eine weitere Novität: Die Saison wurde nicht mit einem Bühnenwerk von Verdi eröffnet (eine Ausnahme bildete der «Fidelio» im...

Ach wie flüchtig

Der gestürzte und wiedererhöhte Nebucadnezar, König zu Babylon, unter dem großen Propheten Daniel» – so lautet der originale Titel von Reinhard Keisers Oper aus dem Jahr 1704, mit der das Theater Heidelberg nun sein winterliches Barockfest im Schwetzinger Rokokotheater eröffnete. Wer ein religionspolitisches Lehrstück befürchtete, sah sich angenehm enttäuscht. Zwar...

Der dritte Weg

Vollendet das ewige Werk» – so verkündet es Wotan zu Beginn der zweiten Szene von «Rheingold», dem Vorspiel zu Richard Wagners «Ring des Nibelungen». Geschätzte fünfzehn Stunden später, am Ende der «Götterdämmerung», liegt alles in Schutt und Asche. Da sitzt er nun wieder träumend in seinem Sessel, den Schlapphut auf dem Kopf, den (noch oder wieder) heilen Speer in...