Gespenstisch teilnahmslos

Weill: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny Berlin / Staatsoper im Schiller Theater

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In dem Tenorschlager «Nacht überm See» versicherte Fritz Wunderlich einst das Techtelmechtel zwischen den Geschlechtern ­einer kosmischen Komplizenschaft: «Und der alte Mond lächelt weise, und ein Sternlein funkelt: Na, na!». Der Mond von Alabama ist aus diesem Pakt längst ausgestiegen. Absinthgrün und dumm lacht er über der Wüstenstadt Mahagonny. Jim, Jack, Bill und Joe singen das bei Kurt Weill auch so. Und in Vincent Boussards Inszenierung von «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» – da tut der Mond noch mehr: Er wirft ein Auge auf ­alles, was unten geschieht.

Aus dem Bruder der Liebenden ist ein Big Brother geworden, ein Totalüberwacher des industriell abgefertigten Waren- und Geschlechtsverkehrs. Man staunt nicht schlecht, in diesem Umfeld Bertolt Brechts Originalsatz der Witwe Begbick zu hören: «Jeden Abend vor dem Schlafengehen wünschen Sie Gin und Pfeffer». Sie weiß also über die Konsumgewohnheiten des Jim Mahoney schon Bescheid, bevor er sie geäußert hat. So wie heute Amazon den Kunden prophylaktische Drohnen mit begehrten Dingen schicken will, bevor sie bestellt wurden. Und was geschieht? Nichts. Wir nehmen es hin. Hier wie dort.

Brecht und Weills Oper war 1930 die ...

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Opernwelt August 2014
Rubrik: Panorama, Seite 31
von Jan Brachmann

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