Familienbande
Das erste Bild zeigt eine Amtsstube aus grauer Vorzeit, mit Aktenschränken inklusive staubigen Registern; auf wuchtigen Schreibtischen türmt sich Papier. Emsiges Personal in steifer Bürokleidung des mittleren 20. Jahrhunderts bewegt sich ruckartig, sackt zusammen, richtet sich wieder auf. Dann nehmen die Bewegungen Fahrt auf: Die Frauen wecken erstarrte Pullunder-Männer auf, zu Rameaus quirliger Tonspur entwickelt sich ein geschäftiger Tanz – amüsierwütig und doch ansteckend dynamisch. Jede Geste sitzt, jeder Fußschlenker antwortet auf die Musik.
So musikalisch beginnt Andreas Kriegenburgs «Platée»-Inszenierung. Die Uraufführung von Rameaus skurrilem «Ballet bouffon» soll nur ein mäßiger Erfolg gewesen sein. Man empfand das Sujet als unpassend, da die Titelheldin eine hässliche, krötenartige Sumpfnymphe war. Beinahe ein Eklat, denn der Anlass in Versailles war die Hochzeit Ludwig XV. mit der spanischen Infantin, und die soll nicht eben eine Schönheit gewesen sein ... Noch heute verblüfft Rameaus freches Spiel mit dem Spiel. Denn er denkt auch laut über alberne Hupfdohlen, eitle Sänger, sinnfreie Koloraturschnörkel, kokette Spitzentöne, kurzum: über den ganzen Irrsinn der Gattung ...
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Opernwelt Juni 2024
Rubrik: Magazin, Seite 77
von Regine Müller
Im Anfang war das Wort. Nicht jedoch das geschriebene. Im Anfang war der Klang, das gesprochene, gesungene Wort, die menschliche Stimme, aus der heraus ein ganzer Kosmos an Mitteilungsformen erwachsen kann – im günstigsten Fall. Die Stimme als Faszinosum, als Mittel, um höchste kulturelle Leistungen zu erbringen (man denke nur an die Opern dieser Welt), aber auch...
Wurzeln überall, auch von oben hängen sie herunter, wir befinden uns mutmaßlich in einer subrealen Unterwelt. Vorne fließt, vom Parkett nur zu ahnen, ein Fluss vorbei, und als schließlich Mélisande, drapiert wie für eine kolorierte Kunstpostkarte, ihr fragiles Leben ausgehaucht hat, wird es gewiss: Es ist Styx, oder Lethe, denn Mélisandes Lebenslicht wird vom Arzt,...
JUBILARE
Neil Shicoff wurde in New York geboren und studierte an der Juilliard School of Music. Sein Debüt gab der Tenor 1975 in Cincinnati in der Titelrolle von Verdis «Ernani» unter dem Dirigat von James Levine. Ein Jahr später stand er erstmals auf der Bühne der Metropolitan Opera. Engagements an der Mailänder Scala, Londons Royal Opera House, dem Gran Teatre...