Der Weg ins Freie
Nach 66 Minuten fängt das Leben an. Das Leben in Freiheit, als lange schon gehegter Wille und Wunsch. Eine Tür wird zur Seite geschoben, Luft (von anderen Planeten?) strömt herein, nur eine Jalousie versperrt noch den Weg ins Licht. Doch just in diesem Augenblick endet alles: die Musik, die Worte und Stimmen, der Gesang, die Bewegung. Und plötzlich wirkt die Große Ausstellungshalle in der Akademie der Künste am Berliner Hanseatenweg seltsam unbelebt, wirken auch die Protagonisten dieser Aufführung seltsam erstarrt.
So als sei die Möglichkeit von Freiheit gleichbedeutend mit totaler Ungewissheit.
Beethovens «Fidelio» war da entschiedener, eindeutiger, der C-Dur-Jubel am Ende buchstäblich entfesselter. Doch es war klar, dass ein Musiktheater, das sich zum 250. Geburtstag des Meisters mit seiner einzigen Oper beschäftigt, dies nicht eins zu eins abbilden würde. Schon der Titel deutet Distanzierung durch Befragung an: «Wir sind so frei #1» will, als Auftakt zu einer Trilogie der Kompagnie Novoflot, Echo zu Beethovens Freiheitsoper sein, Übermalung, Kommentar und nicht zuletzt auch ironischer Beitrag zur Festkultur.
Allein der Stelen-Archipel aus monadischen akustischen Quellen, den ...
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Opernwelt Mai 2020
Rubrik: Magazin, Seite 60
von Jürgen Otten
Herr Workman, Sie wollten zunächst Schauspieler werden ...
So ist es. Meinen ersten Uni-Abschluss habe ich im Sprechtheater gemacht. Mit 21 bin ich sogar für ein Jahr nach New York gegangen, ohne irgendwo engagiert zu werden. Nebenher habe ich Trompete gespielt und Gesangsunterricht genommen. Damals habe ich nie an Oper gedacht, eher schon konnte ich mir eine...
Der Dirigent Carlo Maria Giulini beklagte einmal, dass im «Mutterland der Musik» diese traditionell weitgehend identisch mit Oper («melodramma») sei, Sinfonik, Kammermusik hingegen weniger gälten. Die beiden wichtigsten Komponisten der Nachkriegszeit, Luigi Nono und Luciano Berio, gingen ebenfalls auf Distanz zur Singbühne, aber auch zu den etablierten «absoluten»...
«Mir graut vor meinem Schatten», schrieb Arno Holz. Grauen, Angst vor etwas, das nicht weicht, an uns klebt und gelegentlich überholt. Angst vor dem Unwägbaren, das uns sogar veranlasst, den Grundtrieb des zoon politikon, des Gemeinschaftswesens, zumindest zeitweise zu verleugnen. Und dazu bringt, uns zu vereinzeln – etwa Opernaufführungen allein vor dem Fernseh-...