Montserrat Caballé. Interview 1995

Frau Caballé, seit Ende September sind Sie auf großer Tournee im deutschsprachigen Raum: 30 Konzerte in vier Monaten, dazwischen Fernseh-Auftritte wie in Thomas Gottschalks «Wetten daß» - wie wär's überhaupt mit einer eigenen Fernseh-Show?
Ich? Wieso?

Weil Sie offenbar eine gute Entertainerin sind.
Sie meinen, ich rede zuviel? (lacht)

Auf jeden Fall kommen Sie beim breiten Publikum an. Seit Ihren TV-Auftritten werde ich immer wieder von Leuten gefragt, die sich gar nicht für Oper interessieren: Wer ist die Opernsängerin, die bei Gottschalk war und die dauernd gelacht hat?
Das gefällt mir, wenn wir als Opernsänger ein ganz anderes Publikum erreichen. Das war für mich mit die schönste Erfahrung nach dem «Barcelona»-Video mit Freddie Mercury: daß sich ein Rockpublikum für Oper interessiert und umgekehrt. Seitdem bietet man mir im Fernsehen immer wieder etwas an; aber dafür braucht man Zeit, das muß gut vorbereitet sein. Mal sehen.

Wie kam es zu dem ungewöhnlichen Duo Caballe-Mercury?
Als 1986 Barcelona für die Olympiade 1992 gewählt wurde, hat mich der Bürgermeister von Barcelona gefragt, ob ich zur Olympiade ein Lied singe – aber etwas Populäres, Modernes, etwas für das breite Publikum. Ein paar Monate später habe ich dann in London gesungen, und in der Vorstellung war Freddie, der ein großer Opernfan war und der auch am liebsten Opernsänger geworden wäre. Und da hat mein Bruder Carlos gemeint: Wie wär's, wenn ihr beide das Lied für die Olympiade singt? Freddie hat sofort zugesagt, und im Juni '87 haben wir «Barcelona» zum erstenmal in einem Konzert auf Ibiza gesungen. Das Konzert wurde vom spanischen Fernsehen übertragen und kam sehr gut an. Später haben wir dann das Video produziert, das als Werbung für Barcelona jahrelang um die Welt ging.

Sie geben jetzt mehr Konzerte, singen viel weniger Oper als früher.
Seit 1985, als ich sehr krank war, mache ich nur noch zwei, drei Opernproduktionen im Jahr. Dieses Jahr kommt «Rosmonda d'Inghilterra» in England, die «Medea» in Griechenland, vielleicht noch eine Produktion in Wien; das steht noch nicht fest. Und für die übernächste Saison ist die Marschallin an der Met geplant - 30 Jahre nach meinem Debüt in dieser Rolle in Glyndebourne.

Sie haben schon ziemlich früh mit Strauss begonnen.
Schon während des Studiums. Mein tägliches Training waren Mozart und Strauss, die beiden Lieblinge meiner Lehrerin. Ich glaube, beide Komponisten sind auch die Basis für meine Karriere. Meine erste Strauss-Partie auf der Bühne war die Salome, da war ich Anfängerin in Basel und war das Cover für Inge Borkh. Sie war phantastisch in dieser Rolle. Ich habe sie sehr bewundert und war natürlich voller Komplexe. Aber als ich dann einspringen mußte, ging Gott sei Dank alles gut. Mein Debüt in meiner Heimatstadt Barcelona war wieder eine Strauss-Oper, «Arabella ». Und als nächstes habe ich dort die Elvira gesungen. Also immer Mozart und Strauss - auch in Wien: 1959 bin ich an der Staatsoper als Elvira eingesprungen (der Giovanni war Eberhard Wächter, die Donna Anna Ciaire Watson), und als zweite Partie in Wien kam dann wieder die Salome - mit Hans Hotter als Jochanaan.

In Bremen haben Sie sogar die Chrysothemis gesungen - war das nicht ein bißchen gefährlich für eine junge Stimme?
Naja, ich glaube, wenn man jung ist, geht vieles. Vielleicht hätte ich die Chrysothemis damals nicht an einem großen Haus singen können, aber in Bremen fanden sie's toll, und für mich selbst war es auch eine große Freude. Liselotte Thomamüller war die Elektra.

Die Elektra wollten Sie ja auch noch ...
... jaja, das ist schon lange geplant, aber es hat noch nicht geklappt. Warum lachen Sie? Ich weiß, die Partie ist sehr schwer, aber wenn man in einem bestimmten Alter ist - , und ich bin in diesem Alter - dann kann man es schon versuchen, (lacht) Mein Traum war immer, die Isolde zu singen. Und das ist ja auch wahr geworden: 1989 in Barcelona mit René Kollo und Brigitte Fassbaender. Das war eine Erfüllung. Und eine große Herausforderung. Ab und zu liebe ich solche Herausforderungen. Und ich muß immer wieder etwas Neues machen.

Wie wär’s mit dem anderen Strauß, mit Operette?
Die Rosalinde in der «Fledermaus» habe ich schon damals in Bremen gesungen. Das war bestimmt keine wienerische Rosalinde, aber stimmlich war es, glaube ich, ganz gut. Für meine Konzerte bereite ich jetzt ein paar Operetten-Arien vor, das sind so richtige kleine Schmuckstücke. Aber ich bin etwas ängstlich, daß ich es nicht ganz richtig mache. Denn wie bei der Zarzu- ela muß man bei der Operette etwas mehr bringen als nur Musik und Stimme. Das gewisse Etwas muß man haben. Ich werde mir die Operetten- Aufnahmen von großen Sängerinnen anhören, zum Beispiel von Rothenberger und Schwarzkopf.

Von welchen Fach-Kolleginnen (um nicht zu sagen: Konkurentinnen) waren und sind Sie am meisten beeindruckt?
Jede große Sängerin hat eine bestimmte Farbe, eine bestimmte Interpretation. Und ist es nicht schön, wenn man sagen kann: Ich höre ein Stück gern von verschiedenen Interpreten? Wenn man ein Stück wirklich liebt, dann liebt man auch ganz verschiedene Arten Interpretation. Als Studentin am Konservatorium war Victoria de los Angeles mein großes Vorbild. Diese Linie, diese sanfte Stimme... Später habe ich mich in den Klang der Tebaldi verliebt. Sie hat oft in Barcelona gastiert, und ich habe sie als Traviata gehört, als Manon Lescaut, Aida und Butterfly. Das war eine echte Spinto-Stimme, wie es sie heute fast nicht mehr gibt. Als Traviata war sie genau das, was Verdi wollte: ein echter Spinto mit Agilität. Ich weiß noch, als ich meine erste Traviata gesungen habe, hat der Dirigent Gianandrea Gavazzeni gesagt, ich sei für diese Partie etwas zu lyrisch. Er war eben Stimmen wie Tebaldi gewohnt. Und wieder später habe ich mich in die Stimme von Maria Callas verliebt.

Sind Sie der Callas auch begegnet?
Öfters, ja. Ich habe sie manchmal auch umRat gefragt, und Sie war immer sehr nett zu mir, auch sehr ehrlich. Vor vielen Jahren sollte ich an der Scala die Lady Macbeth singen, neben Piero Cappucailli in der Titelpartie. Und ich habe damals die Callas angerufen und gefragt, ob ich es machen soll. Ich hatte gerade die Arien für ein Recital aufgenommen. Und die Callas sagte: «Schön, daß Sie die Arien aufgenommen haben - und nun vergessen Sie das Ganze. Ihre Stimme ist schön und sanft, und für die Lady Macbeth braucht man eine durchdringende, schneidende Stimme. Es wäre zu traurig, wenn Sie Ihre Stimme mit dieser Partie ruinieren - also lassen Sie es.» Und natürlich habe ich ihren Rat befolgt.

Stimmt es, daß Sie gesagt haben: «Die Callas war eine Künstlerin; ich bin nur eine Sängerin mit schöner Stimme»?
Sicher, das habe ich so gesagt - und das stimmt ja auch. Ich habe eine Stimme, und ich kann singen, weil ich eine gute Technik habe - und ich versuche den Komponisten, die ich singe, gerecht zu werden. Aber so, wie die Callas war - das ist eben eine andere Dimension. Sie war die Essenz des Theaters. Ich habe auch immer gesagt, daß ich als Darstellerin auf der Bühne nichts Besonderes bin. Natürlich, wenn es wirklich darauf ankommt – etwa in der großen Auseinandersetzung zwischen Maria Stuarda und Elisabetta -, dann muß man auch schauspielerisch etwas bieten, damit die Figur glaubhaft wird. Doch prinzipiell stelle ich eine Figur mit stimmlichen Mitteln dar. Meistens braucht es nicht viel körperliche Aktion, um das Publikum zu überzeugen; es ist alles im Klang der Stimme.

Ein weiteres Caballe-Statement besagt, daß Sie ohne ihren Bruder Carlos nicht diese Karriere gemacht hätten.
Natürlich nicht, denn als mein Agent hat Carlos alles Geschäftliche geregelt. Außerdem hat er mich zu den Belcanto-Partien gebracht, was ja der Start für meine internationale Karriere war. Ich habe damals mit Maestro Cillario die Manon Lescaut in Barcelona gesungen, und mein Bruder und Cillario haben mich schließlich davon überzeugt, daß ich auch Bellini und Donizetti singen kann. Ich weiß noch, wie Cillario gesagt hat: «Du kannst doch Fiordiligis ‘Come scoglie’? Mit derselben Agilität singst du auch Donizetti und Bellini.» Kurze Zeit später kam dann das erste Angebot für eine Belcanto-Partie — wieder ein Einspringen, diesmal für Marilyn Horne, die schwanger war. Das war mein Debüt an der Carnegie Hall mit “Lucrezia Borgia’. Und plötzlich haben alle behauptet, ich sei eine Belcanto- Spezialistin. (lacht)

Daß Sie jetzt weniger Oper singen - hat das vielleicht auch damit zu tun, daß Sie nicht so gern proben? Es heißt, die Caballe drückt sich manchmal vor langen Probenzeiten.
Das ist ein Gerücht. Ich habe immer viele Proben gehabt, und bei Neuproduktionen habe ich meistens einen Monat lang probiert. Natürlich, wenn ich in eine laufende Produktion einspringe, bei der ich nicht von Anfang an dabei war, dann ist das etwas anderes; wenn es eine Rolle ist, die ich hundertmal gesungen habe, muß ich nicht 20 Tage probieren; das schaffe ich in einer Woche.

Bei der «Salome» in Barcelona standen Sie oben auf der Platt- form, während Ihre Partie unten von einer Tänzerin dargestellt wurde.
Aber den Schlußgesang habe ich gespielt!

Mit einem kleinen Unfall.
O Gott, die Silberschüssel. Die war nicht echt, nicht stabil, sondern aus Plastik. Und wie ich versuche, den Kopf des Jochanaan zu küssen, stütze ich mich am Rand ab - und die Schüssel kracht unter mir zusammen, der abgeschlagene Kopf schaukelt hin und her. Das war furchtbar. Furchtbar komisch!

Ist es Ihnen mal passiert, daß Sie auf der Bühne so lachen mußten, daß Sie nicht weiterkonnten?
Ja, bei der «Ariadne» an der Met, im Vorspiel. Die Perücke war keine richtige Perücke, sondern so etwas Improvisiertes, wie ein Hut. Und ich habe meinen Text vergessen und habe statt dessen etwas gedichtet und zu der Zerbinetta gesagt: «Komm, frisiere mich doch ein bißchen.» Sie hat sehr schnell reagiert und hat mir die Perücke gekämmt. Dann kam der Einsatz, wo ich aufstehen mußte, und ich habe nicht gemerkt, daß die Zerbinetta immer noch mit ihren Händen in meiner Perücke ist. Ich stehe also auf — und sie steht da mit meiner Perücke in der Hand! Das war das Ende, wir konnten alle nicht weitersingen.

Was passiert, wenn Sie mit einem Regisseur überhaupt nicht zurechtkommen?
Ich versuche erst einmal, ihn zu verstehen. Denn ich gehe davon aus, daßalles, was er will, einen Sinn hat. Auch wenn ich selbst die eine oder andere Idee total daneben finde - so versuche ich doch zu erfahren, waser sich dabei gedacht har. Es gibt tausendundeine Möglichkeit, ein Stück zuinszenieren. Jeder hat seine eigene Konzeption, und vonjeder Produktion, auch von den schlechten, kann man etwas lernen. Ich finde, man sollte immer offen für neue Gedanken sein. Leben heißt: Jeden Tag etwas Neues lernen. Das ist produktiv. Und wenn es absolut nicht anders geht, muß man sich trennen. Es gibt in unserem Beruf nichts Schlimmeres, als unglücklich auf der Bühne zu sein.

Aber es gab und gibt doch sicher Situationen, wo Sie auch die Primadonna herauslassen?
Nur auf der Bühne! Im täglichen Leben sind wir Arbeiter - Menschen, die das große Glück haben, mit ihrer Arbeit sich selbst und anderen Freude zu machen. Es hat keinen Sinn, außerhalb der Bühne die Primadonna zu spielen. Und ich versuche, wo es geht, Krach zu vermeiden. Jeder Streit ist Zeitver- schwendung. Wir haben in uns zwei Seiten: die positive und die negative. Und ich finde, wir sollen positiv denken. Wenn du krank bist, mußt du positiv denken, sonst wirst du nicht gesund. Wenn du nur ans Kämpfen denkst, nur aggresiv bist, dann wirst du eines Tagesdavon aufgefressen — die Aggressivität kommt zurück wie ein Bumerang. Und genauso geht es umgekehrt: Man merkt sofort, wenn von Musik oder von der Bühne etwas Positives ausgeht; es kommt sofort zurück. Jedes Stück, ob heiter odertragisch, sollte diese befrei-ende Wirkung haben — Befreiung von Streß, von Angst. Das ist unsere Auf- gabe: Den Menschen etwas bieten, was Frieden in ihre Seele bringt. Aber das betrifft nicht nur uns Sänger; wir alle müssen uns bemühen, etwas Positives in diese Welt zu bringen. Sonst wird sie noch brutaler und aggressiver. Und das darf nicht sein.

Das Gespräch führte Thomas Voigt

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